Robert Lessmann
Ende
August 2020 kündigte der inzwischen
verstorbene kolumbianische
Verteidigungsminister Carlos Holmes Trujillo García die Schaffung
einer Spezialeinheit zur Identifizierung, Lokalisierung und
juristischen Verfolgung der Täter von Kollektivmorden an, nachdem es
im gleichen Monat erneut zu einem dramatischen Anstieg von Massakern
gekommen war. Zuvor waren innerhalb von nur 48 Stunden 20 Personen
ermordet worden, darunter viele Jugendliche. Nach Aussagen des
Instituts für Entwicklung und Frieden (Indepaz) gab es 2020 bis zum
25. August des Jahres in Kolumbien 48 Massaker, bei denen 192
Personen getötet wurden; darüber hinaus sei in diesem Jahr bereits
die Tötung von 196 sozialen Anführern (dirigentes)
sowie 41 ehemaligen Mitgliedern der FARC-Guerilla zu beklagen, die
trotz und nachdem sie ihre Waffen im Rahmen des mit der Regierung
vereinbarten Friedensabkommens niedergelegt hatten, getötet wurden.1
Verteidigungsminister Holmes Trujillo versicherte, dass hinter diesen Taten die Drogenmafia stehe. Daher müsse man die Besprühung der illegalen Drogenpflanzen aus der Luft wieder aufnehmen. Die illegalen Pflanzungen und der Drogenhandel seien der wichtigste Feind des Friedens in Kolumbien.2
Der Kampf gegen den Drogenhandel und den Kokaanbau3 spielt auch im Friedensabkommen von 2016 eine wichtige Rolle. Dort heißt es unter Punkt 4 „Solución al Problema de las Drogas Ilícitas“: Consideramos que: „Para contribuir al propósito de sentar las bases para la construcción de una paz estable y duradera es necesario, entre otros, encontrar una solución definitiva al problema de las drogas ilícitas, incluyendo los cultivos de uso ilícito y la producción y comercialización de drogas ilícitas.“ Weiter drücken die Parteien ihre Übereinstimmung über die Notwendigkeit aus: „1. Programas de sustitución de cultivos de uso ilícito. Planes integrales de desarrollo con participación de las comunidades en el diseño, ejecución y evaluación de los programas de sustitución y recuperación ambiental en las áreas afectadas por dichos cultivos.“ (Acuerdo de Paz)
Dieses Working Paper möchte einen Überblick über die Entwicklung des internationalen Drogenhandels und der Drogenkontrolle geben, mit Fokus auf den Erfahrungen bei der Bekämpfung der pflanzlichen Grundstoffe, den Andenraum und speziell Kolumbien, sowie die Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft und den Friedensprozess dort, um schließlich zu einer Reihe von Empfehlungen zu gelangen.
INTERNATIONALE DROGENKONTROLLE: STATE OF THE ART UND NEUE HERAUSFORDERUNGEN
Das Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) der Vereinten Nationen schätzt die Zahl der Konsumenten kontrollierter Substanzen heute auf 269 Millionen weltweit; bei 35,6 Millionen handelt es sich um „problematischen Konsum“; nur einer von sieben findet einen adäquaten Therapieplatz (UNODC 2020/1). Im Jahr 2017 starben daran etwa 585.000 Menschen gegenüber rund 200.000 noch vor weniger als einem Jahrzehnt; die meisten gesundheitlichen Komplikationen und Opfer sind in Verbindung mit dem Konsum von Heroin und anderer Opioide zu beklagen, durch Überdosen, aber auch durch gesundheitliche Langzeitfolgen aufgrund des hohen Suchtpotenzials und durch Infektionen wie HIV oder Hepatitis (UNODC 2019/1, S.19). Das Infektionsrisiko mit HIV ist für Personen, die sich Drogen per Spritze verabreichen (PWID – People who inject drugs) 23 mal höher als im Durchschnitt, und mehr als 80 Prozent der PWID haben oder hatten eine Hepatitis C-Infektion (UNODC March 2019, S.16). Nach Schätzung der UNO gibt es 11,3 Mio. PWID. Davon sind 5,6 Mio. mit Hepatitis infiziert und 1,4 Mio. HIV positiv. Von den 585.000 Drogentoten (2017) starb die Hälfte an unbehandelter Hepatitis C, die zu Leberzirrhose oder -krebs führt (UNODC 2019/1, S. 19).
Die gesundheitlichen Probleme im Zusammenhang mit dem Kokainkonsum sind dagegen deutlich geringer. Die Zahl der Kokainkonsumenten (Jahresprävalenz) wird auf weltweit 19 Mio. geschätzt - gegenüber Cannabis (192 Mio.), Opioide (58), Amphetamine und verschreibungspflichtige Stimulanzen (27), Ecstasy (21 Mio.) (UNODC 2020/2, S.7). Ganz überwiegend handelt es sich bei Kokain um gelegentlichen Freizeitkonsum; so geben beispielsweise in Australien nur 3 Prozent der Konsumenten an, Kokain einmal pro Woche oder öfter zu nehmen (UNODC 2020/2, S.25–30).
Der Kokainhandel stellt aber eine wichtige Finanzierungsquelle für kriminelle Organisationen und bewaffnete Aufständische dar. Laut UNODC (2011) dürfte das globale Volumen der Geldwäsche bei 1,2–1,6 Billionen (1.000 Mrd.) USD liegen, wovon etwa 350 Mrd. auf den globalen Drogenhandel und davon wiederum 85 Mrd. auf den mit Kokain entfallen. Hiervon wird vermutlich weniger als 1 Prozent entdeckt und beschlagnahmt. Diese Zahlen machen sowohl die Dimension des Problems als auch die Vernachlässigung dieses Feldes deutlich. Dabei stellt der illegale Drogenhandel das Rückgrat des internationalen organisierten Verbrechens dar - allen voran der mit Kokain, der deutlich besser organisiert und zentralisiert ist als andere Sparten (Lessmann 2017, S. 14–15).
Die Geldwäschestudie des UNODC schätzt die Kokainprofite kolumbianischer Organisationen auf 9,4 Mrd USD (im Jahr 2009), was etwa 11 Prozent der globalen Kokainprofite und 3 Prozent des kolumbianischen GDP (2010) entsprach (UNODC 2011). Diese Profite dürften seitdem leicht angestiegen sein. Einerseits wird inzwischen in Kolumbien deutlich mehr produziert. Gleichzeitig sind aber der durchschnittliche Reinheitsgrad der Ware im Endverkauf gestiegen und die Preise gesunken, d.h. es wird weniger pro Einheit verdient.4
„La economía se ensucia“ - mit diesen Worten beschrieben kolumbianische Wirtschaftswissenschaftler bereits vor zwei Jahrzehnten den Prozess einer gesellschaftlichen Korrumpierung und Degenerierung, nicht etwa nur durch Bestechung, sondern durch die langjährige Penetration der legalen Ökonomie mit 'schwarzem' Kapital aus illegalen Geschäften (Arrieta u.a. 1990, auch: GTZ 2001, S. 10-12).
Die internationale Drogenkontrolle war bisher ebenso einseitig wie erfolglos auf die Unterbindung von Konsum, Produktion und Bereitstellung ausgerichtet. Ihr Fundament ist die Single Convention on Narcotic Drugs der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1961. Ist man deren Oberziel, den nicht-medizinischen Gebrauch kontrollierter Substanzen auszumerzen oder zumindest einzudämmen im letzten halben Jahrhundert näher gekommen? Verfechter des drogenpolitischen Status quo führen sogenannte „no-events“ ins Feld: Ohne strenges Durchgreifen, so argumentieren sie, wäre alles noch schlimmer gekommen. Tatsache ist: Die Zahl der Drogenkonsumenten steigt. Wie bereits erwähnt, schätzt man ihre Zahl heute weltweit auf 269 Millionen. Das ist selbst unter Berücksichtigung des Bevölkerungswachstums deutlich mehr als zur Jahrtausendwende (141 Mio. 1999) – nahezu eine Verdoppelung. Allerdings sind in der Tat auch die Herausforderungen gewachsen. Waren es zur Zeit des ersten internationalen Drogenabkommens, der Haager Opiumkonvention von 1912, sieben, so sind es zu ihrem hundertsten Geburtstag (2012) 234 „kontrollierte Substanzen“ – immerhin 2,75 Mal mehr als 1961 bei der Verabschiedung der Single Convention (UNODC 2013a, S. xi).5
Internationale Drogenmärkte und ihre Produktpalette sind im letzten Jahrzehnt erheblich komplexer und unübersichtlicher geworden – und damit auch die mit ihnen verbundenen Probleme. Dazu gehört die Vielfalt von neuen, im Labor hergestellten Substanzen: New Psychoactive Substances (NPS), Amphetamin-type Stimulants (ATS), Legal highs, die mit großer Anzahl und Dynamik auf die Märkte kommen und das Kontrollsystem der Konvention mit seinen Listen „kontrollierter Substanzen“ an Grenzen bringen, weil sie gar nicht schnell genug erfasst werden können (UNODC March 2019, S. 36). Sie sind häufig leichter herzustellen und schwieriger zu kontrollieren. Länder- oder kontinentübergreifende Transaktionen sind zumeist unnötig, die Zugriffsmöglichkeiten für die Exekutive insofern geringer. Doch während man erwartet hatte, dass sie die klassischen, pflanzengestützten Substanzen verdrängen könnten, ist dies offenbar nicht der Fall. Sie stellen vielmehr eine Erweiterung und Ergänzung des Angebots dar.
Gleichzeitig treten heute mit der sogenannten Opioid-Krise verstärkt wieder Probleme mit dem Konsum verschreibungspflichtiger Substanzen auf, sei es aus illegaler Herstellung oder durch Abzweigen aus den legalen, kontrollierten Vermarktungsketten. In den USA schätzt man die Zahl der Menschen, die pharmazeutische Opioide auf nicht-medizinische Weise nutzen auf 10,5 Millionen (UNODC 2019/3, S. 17). Im Jahr 2017 starben dort 70.237 Personen allein an Opioid-Überdosen – ein Anstieg um 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr; in Kanada waren es 3.998, ein Anstieg um 33 Prozent (UNODC 2019/2, S. 30). Während das Opioid (Fentanyl-) Problem sich bisher klar auf Nordamerika konzentriert, geben größere Beschlagnahmungen auch in Europa Anlass zur Sorge (UNODC 2019/3, S.61 ff). In Afrika gibt es Probleme mit dem nicht-medizinischen Konsum von Tramadol, das nicht unter internationaler Kontrolle steht (UNODC 2019/3, S.23ff).
Schließlich unterlaufen globale Drogenmarktplätze im Darknet die jahrzehntelangen Bemühungen zur Einhaltung der Prohibition und polizeilicher Kontrolle des Drogenangebots. Drogenvermarktung im Internet ist ein noch kaum ein Jahrzehnt altes Phänomen, mit noch geringer Reichweite, weil es noch weitgehend auf den Kleinhandel und den globalen Norden beschränkt ist. Während der Corona-Pandemie erlebt dieses Marktsegment starke Zuwächse.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen gewinnen gesundheitspolitische Ansätze, Prävention und Therapie, gegenüber der Angebotsbekämpfung in der drogenpolitischen Debatte neues Gewicht (Lessmann 2020). Mit einer gesundheitspolitischen Priorität trifft man den neuralgischen Punkt und setzt auf der Konsumseite dort an, wo die eigentlichen Probleme liegen. Man hilft den Betroffenen und trägt damit indirekt dazu bei, den illegalen Markt auszudünnen. Hardcore-Konsumenten und Suchtkranke stellen nämlich eine verlässliche und relativ preisunelastische Dauernachfrage dar. So verbrauchen beispielsweise in den USA ein Viertel der Kokainkonsumenten zwei Drittel des geschätzten Angebots (UNODC 2016, S.41-42).
KOKAIN UND DIE ANGEBOTSORIENTIERTE DROGENBEKÄMPFUNG
In den 1970er und 80er Jahren war es – insbesondere in den westlichen Industrienationen, allen voran in den USA - zu einem rasanten Anstieg der Nachfrage nach bestimmten kontrollierten Substanzen gekommen: namentlich nach Cannabis, Heroin und Kokain, aber auch LSD. Dieser schlug sich in einem ebenso starken Anwachsen der Anbauflächen der pflanzlichen Ausgangsprodukte dieser Stoffe nieder und in der Herausbildung illegaler Verarbeitungs- und Vermarktungsketten. Bereits im Jahr 1971 hatte U.S.-Präsident Richard Nixon den Drogen „den Krieg erklärt“, doch erst unter Präsident Ronald Reagan (1981-1989) wurde aus der Kriegserklärung Ernst. Mit der Novellierung des Posse Commitatus Act im Jahr 1981 wurde die gesetzliche Grundlage für einen möglichen Einsatz der Armee im Kampf gegen den illegalen Drogenhandel geschaffen (Lessmann 1996, S. 34). War diese Militarisierung zunächst auf die Versiegelung der Landesgrenzen (border interdiction) beschränkt, so erfolgte ab Mitte der 1980er Jahre die Externalisierung der U.S.-Drogenkontrolle (Lessmann 1996). Nachdem die „border interdiction“ nicht den erhofften Erfolg gebracht hatte, hieß das Motto nun: „Going to the source!“ Mit den Anti-Drogen-Gesetzespaketen von 1986 und 1988 wurden sogenannte drogenproduzierende – oder wichtige Transitländer mit obligatorischen Sanktionen belegt, die der Präsident jeweils für ein Jahr aussetzen konnte (certification, heute: determination), wenn sie in der Drogenkontrolle kooperativ waren. Ein bedrohliches Damoklesschwert mit dem es Washington weitgehend gelang, seine Politik in den betroffenen Ländern durchzusetzen. Mit der Wahrnehmung von Kokain als der Problemdroge Nummer 1 waren dies zunächst vor allem die südamerikanischen Produzentenländer Bolivien, Kolumbien und Peru, wo es in der Folge zu einer Amerikanisierung und Militarisierung der Drogenkontrolle kam (Lessmann 1996 und 2015). Diese war verbunden mit schwerwiegenden Eingriffen in die nationale Souveränität: Eingriffe in die nationale Gesetzgebung; Aufstellung, Ausrüstung und Training von paramilitärischen Spezialpolizeieinheiten; Einbeziehung des Militärs in die Drogenbekämpfung; Tätigkeit von U.S.-Polizei- und Militärpersonal im Gastland auch in leitenden Funktionen; Entführung mutmaßlicher Drogenstraftäter in die USA; temporäre Militärinterventionen in Bolivien (Operation Blast Furnace, 1986) und Panama (Operation Just Cause, 1989-90).
Mit der „Andenstrategie“ (vgl. Lessmann 1996, S. 54-64) vom Januar 1990 wurde unter George Bush (Sen.) die Polizei- und Militärhilfe an Bolivien, Kolumbien und Peru drastisch erhöht. Gleichzeitig wurde das Budget für Anti-Drogen-Operationen des Southern Command der U.S. Streitkräfte in Panama von 230 auf 430 Millionen USD ausgeweitet. In der Folge wurde der Andenraum mit einem hochmodernen System der Radarüberwachung überzogen. Elitesoldaten der U.S. Special Forces wurden in den Drogenkrieg einbezogen und mit Militär- und Geheimdienstpersonal besetzte Tactical Analysis Teams (heute meist Narcotics Action Section (NAS) genannt) steuerten von der jeweiligen U.S.-Botschaft aus die Drogeneinsätze im Gastland (Lessmann 1996, S. 54-64). Diese Eingriffe in die nationale Souveränität der betroffenen Länder haben dort zu Protesten und innenpolitischen Auseinandersetzungen geführt.
Die Ergebnisse von mehr als fünfunddreißig Jahren „Drogenkrieg“ unter der Regie Washingtons in Lateinamerika sind mehr als ernüchternd: Die Kokainproduktion, die ausgemerzt oder zumindest eingedämmt werden sollte, lag 2017 auf einem Allzeithöchststand von 1.976 Tonnen (UNODC 2019/2, Tab. 10, S.68; lt. UNODC 2020, S.3 nunmehr 1.723 Tonnen)6. Die Schwerpunkte des Kokaanbaus (2017: 245.400 Hektar, UNODC 2019/2, Tab. 8, S.67) verlagerten sich in den 1990er Jahren von Bolivien und Peru nach Kolumbien und zwischendurch wieder zurück. Heute hat Kolumbien wieder einen Anteil von gut 70 Prozent an Kokaanbau und Kokainproduktion. Außengesteuerte Politiken der Kokavernichtung haben in den Anbauzonen zu Menschenrechtsverletzungen, politischen Unruhen und Todesopfern geführt.
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Tab.1 Kokaanbau in Hektar, historisch
1986 1990 1995 2000 2005 2010
Bolivien 25.800 50.300 48.600 14.600 25.400 30.900*
Kolumbien 24.400 40.100 50.900 163.300 86.000 57.000#
Peru 150.400 121.300 115.300 43.400 48.200 61.200
Total 200.440 211.700 214.800 221.300 159.600 149.100
Quellen : United Nations Office on Drug Control and Crime Prevention (UNODCCP) : « Global Illicit Drug Trends 1999 », N.Y., 1999, Tab. 9, S.41 (bis einschl. 1990) und ODCCP 2002, Tab. Coca S. 54.
United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC): “World Drug Report 2010”, N.Y. 2010, Tab. 6, S. 64 (ab 1995)
United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC): World Drug Report 2011”, N.Y. 2011, Tab. 20, S.99.
*Zahl von 2009
# Unter Berücksichtigung von Kleinstfeldern wären es 62.000 und die Gesamtsumme dann 154.000.
Es handelt sich bei den Zahlen um Schätzungen auf schwieriger Grundlage, Auszüge in Form von Fünfjahresschnitten; auf Details wird eingegangen, wenn wir uns sogleich einzelne Beispiele genauer ansehen.
Tab.2 Kokaanbau in Hektar, aktuell
2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Bolivien 27.200 25.300 23.000 20.400 20.200 23.100 24.500 23.100
Kolumbien 64.000 48.000 48.000 69.000 96.000 146.000 171.000 169.000
Peru 62.500 60.400 49.800 42.900 40.300 43.900 49.000
Total 155.600 133.700 120.800 132.300 156.500 213.000 245.000
Quellen : UNODC 2016, Annex V
UNODC 2020, Statistical Annex, 6.1.1. Illicit cultivation of the coca bush; wdr.unodc.org/wdr2020/en/maps-and-tables.html; zu Peru liegen nur unvollständige Zahlen vor.
Tab.3 Kokaeradikation in Hektar
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Bolivien 5.484 6.341 8.200 10.506 11.044 11.407 11.144 11.020 6.577 7.237 11.174
Kolumbien man. 96.003 60.565 43.804 35.201 30.456 22.121 11.703 13.473 17.642 52.001 59.978
Kolumbien spray133.496 104.772 101.940 103.302 100.549 47.052 55.532 37.199 0 0 0
Peru 10.143 10.025 12.033 10.290 14.171 23.785 31.205 35.868 30.150 23.025 26.107
Quelle: UNODC 2020, 6.1.2._Eradikation_of_coca_bush.xlsx; wdr.unodc.org/wdr2020/en/maps-and-tables.html
Bis zum Jahr 1990 kam es ungeachtet der beginnenden U.S.-Initiativen zur Drogenkontrolle zu einem Anstieg der Kokaproduktion in allen drei Anbauländern. Mit der Zerschlagung der großen kolumbianischen Drogenorganisationen von Medellín und Cali in der ersten Hälfte der 1990er Jahre, wurde deren Geschäft von Dutzenden kleineren Organisationen weitergeführt, die nicht mehr in gleichem Maße über eine Infrastruktur verfügten, um in den klassischen Anbauländern Peru und Bolivien den pflanzlichen Rohstoff einzukaufen. Gleichzeitig versuchten die USA mit ihrer Operation Airbridge seit 1995 (vgl. dazu Lessmann 2000, 347f), die Zulieferung des Zwischenprodukts Pasta Básica de Cocaína (PBC) von Peru nach Kolumbien zu unterbinden. Beide Faktoren führten zu einem Einbruch des Kokaanbaus in Peru. Gleichzeitig begann in Kolumbien ein Prozess der Importsubstitution. Der Kokaanbau verdreifachte sich dort zwischen 1995 und dem Jahr 2000 ungeachtet einer ab 1994 initiierten Sprühkampagne aus der Luft mit Pflanzengift gegen Kokafelder. Der Rückgang der Anbaufläche im vergangenen Jahrzehnt geht auf eine abermalige dramatische Ausweitung dieser Politik in Kolumbien zurück, während es in Peru und Bolivien zu einem Neuanstieg kam. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einem Ballon-Effekt: verstärkter Druck an einer Stelle führt bei persistenter Nachfrage zur Ausdehnung anderenorts. Das temporäre Tief im Kokaanbau in Bolivien im Jahr 2000 markiert das Ende der Zwangseradikation unter dem Schutz des Militärs im Rahmen von Hugo Banzers Plan por la Dignidad.
Die konstante Verlagerung des Anbaus führte zu direkten und indirekten ökologischen Schäden beträchtlichen Ausmaßes, wie das Abholzen (sub-) tropischer Wälder, Bodenerosion und die Vergiftung von Erdreich und Gewässern durch die zur Weiterverarbeitung notwendigen Chemikalien.7 Da es dabei um langanhaltende oder bleibende Schäden geht, handelt es sich bei genauerer Betrachtung auch nicht einfach um eine Verlagerung, sondern um eine Ausbreitung der Probleme. Nicht nur im ökologischen Bereich: Stand beispielsweise vor 30 Jahren Kolumbien im Brennpunkt der Gewalt der „Drogenkartelle“, so haben sich inzwischen die Schaltzentralen des Kokainexports für den nordamerikanischen Markt nach Mexiko verlagert, wo die Zahl der Todesopfer seit der Einbeziehung des Militärs in den „Drogenkrieg“ im Jahr 2006 inzwischen auf die 300.000 zugehen dürfte.8 Doch weiterhin werden zwei Drittel aller Kokainlabors in Kolumbien entdeckt und zerstört, und 89 Prozent des in den USA beschlagnahmten Kokains soll kolumbianischen Ursprungs sein (INCSR 2020, S. 127).
Fast
vier Jahrzehnte angebotsorientierter Drogenbekämpfung in den
Andenländern haben nicht zu einer Verminderung von Kokaanbau und
Kokainproduktion sowie der damit verbundenen Probleme geführt – im
Gegenteil. Die Erfahrungen mit der Angebotsbekämpfung bei Heroin
(Schlafmohn, Opium) unterstreichen diesen Befund: Auch deren
Produktion steht auf Rekordniveau und nach beinahe zwei Jahrzehnten
Drogenbekämpfung in Afghanistan werden dort noch immer mehr
als 80
Prozent der globalen Schlafmohnernte erzeugt (UNODC 2019/2, Tab. 5,
S.62f).
Die Projektarbeit im Rahmen der „Alternativen Entwicklung“ hat andererseits gezeigt: Kokabauern sind in aller Regel bereit, auch Einkommenseinbußen hinzunehmen, wenn sich im Gegenzug Lebensqualität und vor allem Lebenssicherheit erhöhen (GTZ 2001; UNODC 2015, S.77-118). Doch obwohl sämtliche Strategien als „balanced approach“ - im Sinne einer ausgewogenen Mischung von Repression, Prävention, Therapie und Alternativer Entwicklung – bezeichnet wurden, standen doch zumeist polizeilich-militärische Maßnahmen im Vordergrund, war die Alternative Entwicklung in den meisten Fällen nur Beiwerk. Häufig wurde dadurch die Zielgruppe der Projekte zunächst zum Gegner gemacht. Die Bauern erlebten Drogenkontrolle oft primär als Frontalangriff auf ihre Lebensgrundlage. Es muss demgegenüber darum gehen, das Vertrauen und die Mitwirkung der Zielgruppe zu gewinnen.
Ein nachhaltig positives Gegenbeispiel ist das Thai-German Highland Development Project. Mit langem Atem (18 Jahre, von April 1981 – Dezember 1998) und einem partizipativen Ansatz gelang es, den Opiumanbau im thailändischen Projektgebiet von 9.000 Hektar auf 1.000 Hektar zu reduzieren; seither fluktuiert er zwischen 400 und 900 Hektar. (thai-german-cooperation.info/en_US/history_rural_6).
In dieser Hinsicht auf gutem Wege war auch das Kokareduzierungs- und Regionalentwicklungsprojekt UNFDAC/UNDCP-Projekt AD/COL/85/426 im Departement Cauca und im nördlichen Nariño, das ich Ende des Jahres 1990 besuchen konnte. Seit Beginn des Projekts im Jahr 1985 hatte man bis dahin 40 Prozent der Kokaanbaufläche im Projektgebiet reduzieren können. Trotz des Kokaanbauverbots des Art. 32 des Estatuto Nacional de Estupefacientes von 1986 verlangte man keine vorauseilende Eradikation. Der Ansatz war ein umfassender der integrierten ländlichen Entwicklung bei hoher Partizipation und Eigenleistungen der Bauern, einschließlich der Anwendung alter andiner Formen der Kollektivarbeit, wie der inkaischen Mink'a. Die Konfliktparteien hatten sich im Rahmen eines Gentleman-Agreements aus der Zone zurückgezogen oder hielten sich zurück – einschließlich der staatlichen Sicherheitskräfte. Das Projekt wurde 1996 beendet. Leider waren nur 3,1 von insgesamt budgetierten 11,1 Mio. USD finanziert worden (Lessmann 1996, S. 194-196).
„COCA SÍ, COCAÍNA NO“ - PARADIGMENWECHSEL IN BOLIVIEN
Eine bemerkenswerte Entwicklung hat die Kokaanbauzone des Trópico de Cochabamba (im Volksmund oft kurz: Chapare) in Bolivien genommen, die über zwei Jahrzehnte hinweg von Auseinandersetzungen um die Kokavernichtung geplagt war. Diese fanden ihren Höhepunkt mit dem Plan por la Dignidad während der zweiten Präsidentschaft von Exdiktator Hugo Banzer (1997-2000). Mit Zwangseradikationen unter dem Schutz des Militärs wurde eine deutliche Reduzierung des Kokaanbaus erreicht; wenn auch nicht coca zero, wie behauptet und im Februar 2001 auf der Basis der paramilitärischen Drogenpolizei in Chimoré gefeiert wurde.9 Doch die Reduzierung war nicht nachhaltig und wurde gegen heftige Proteste der Bauern erkämpft. Auseinandersetzungen führten zu Menschenrechtsverletzungen und zahlreichen Todesopfern. Zwischen 1997 und 2003 sollen dabei 57 Kokabauern getötet und mehr als 500 schwer verletzt worden sein. Kokabauernführer Evo Morales stieg in der öffentlichen Wahrnehmung zum „Verteidiger der nationalen Souveränität“ und zum Kristallisationskern der Unzufriedenen im Land auf. Im Dezember 2005 wurde er zum Präsident gewählt.10
Nach dem Amtsantritt von Präsident Morales im Januar 2006 änderte sich die bolivianische Koka- und Drogenpolitik. Die neue Verfassung vom Januar 2009 schützt das Kokablatt in Artikel 384 als andines Natur- und Kulturerbe. Bolivien beantragte im März des gleichen Jahres die Streichung zweier Unterparagraphen aus der UN Single Convention von 1961 (49/1c und 2e), die das Kokakauen und den Kokaanbau verbieten. Als dies scheiterte, trat Bolivien im Juli 2011 in einem bisher einmaligen Präzendenzfall aus der Konvention aus und mit Wirkung zum 1. Februar 2013 unter Vorbehalt gegen diese beiden Unterparagraphen wieder bei. (Lessmann 2017, S. 31).
Innenpolitisch hieß die neue Kokapolitik nun „racionalización“ durch „control social“ im Chapare.11 Ihr griffiger Slogan „Coca sí, cocaína no“ wurde einerseits mit einer konsequenten Interdiktionspolitik umgesetzt; die Beschlagnahmungen von Pasta Básica und Kokain-HCL verdoppelten sich.
Tab. 4 Beschlagnahmungen in Bolivien: PBC/ HCL in Tonnen
2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009
12.9 8.7 11.5 14.0 17.8 28.8 26.8
Quelle: Viceministerio de Defensa Social, La Paz.
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Coca sí geht andererseits von der Einsicht aus, dass der Gebrauch von Kokablättern im Naturzustand legitim und dass Bolivien vielleicht in der Lage ist, die Kokaproduktion einzudämmen, aber nicht, sie vollständig auszumerzen, wie es die UN Single Convention verlangt, während die Wiener UN-Konvention von 1988 im Gegensatz dazu Anbau und Konsum von Kokablättern dort erlaubt, wo er historisch nachgewiesen ist. Mit seinem partizipativen Ansatz und dem Respekt für die Menschenrechte stellt dieser bolivianische Weg den ersten harm-reduction-Ansatz auf der Angebotsseite dar. Vizeminister Felípe Cáceres drückte es so aus: „Wir beschlossen, das Maschinengewehr, die Kugeln und Bomben hinter uns zu lassen. Wir entschieden uns, die kokaproduzierenden Gemeinschaften in die Debatten und Analysen einzubeziehen, die unsere Politik bestimmten.“ Jedes Mitglied im sindicato darf einen cato Koka haben, das ist eine alte, andine Maßeinheit, die etwa 1.600 Quadratmeter entspricht. Ziel der Politik ist es, durch soziale Kontrolle dafür zu sorgen, dass es bei einem cato bleibt. Dazu gibt es seit 2009 das Programa de Apoyo a la Conservación Sostenible de la Biodiversidad (PACS), das von der EU unterstützt wird und das nach den Prinzipien: demokratische Partizipation und Gemeinschaftsrecht vor individuellem Recht arbeitet. In den sindicatos selbst wurden ausgebildete Kokakontrollsekretäre etabliert.
Ein wichtiger Faktor für den Erfolg der sozialen Kontrolle war die starke Loyalität zu Präsident Evo Morales im Chapare. Vom Präsidenten abwärts über Vizeminister Felípe Cáceres wurde das Programm von (ehemaligen) Kokabauern geleitet.12
Es gibt in den sechs federaciones des Trópico zusammengenommen 45.000 sindicato-Mitglieder, also 45.000 rechtmäßige catos – insgesamt etwas mehr als 7.000 Ha. Die Monitoring-Ergebnisse werden den Dorfgemeinschaften (sindicatos) mitgeteilt, von diesen diskutiert und am Boden verifiziert. Die Inspektion erfolgt dann unter Einbeziehung von Vertretern der Nachbarsindicatos, was gegenseitigen Druck erzeugt. Wer die Limits überschreitet, wird im Radio der federaciones kritisiert. Eine öffentliche Ohrfeige, wie die Bauern sagen. Nichterfüllung kann für die Dorfgemeinschaft außerdem auch materielle Nachteile mit sich bringen: etwa weniger staatliche Unterstützung bei öffentlichen Vorhaben, wie etwa dem Bau von Schulen oder der Ausbesserung von Straßen etc.
Ein weiterer Kontrollmechanismus besteht mit der UDESTRO (Unidad de Desarrollo Económico y Social del Trópico; in den Yungas: UDESY), deren (begrenztes) Personal etwa alle zwei Jahre die Farmen besucht und bei Überschreitung des cato-Limits die Eradikation der gesamten Koka der Familie anordnen kann. Eine Neubepflanzung ist dann ein Jahr lang verboten, was die betroffene Familie für mindestens zwei bis drei Jahre dieser Einkommensquelle beraubt. Wiederholte Verstöße können mit lebenslänglichem Kokaanbauverbot belegt werden; bis Juli 2014 erfolgte das in 800 Fällen.
Das historische Maximum des Kokaanbaus in Bolivien lag bei 50.300 Hektar im Jahr 1990. Bis zum Jahr 2005 hatte man in Bolivien aber das Zweieinhalbfache dessen vernichtet.13 Das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Wenn man davon ausgeht, dass Bauernfamilien ins Hinterland weiterziehen, um erneut anzubauen und dass sie neben dem Äquivalent an Koka auch Fläche für Subsistenzprodukte wie Trockenreis, Bananen u.a. sowie für Häuser und Zugangswege brauchen, so dürfte die nicht-nachhaltige Kokavernichtung allein im Chapare bis dahin etwa 200.000 bis 400.000 Hektar subtropischen Regenwald gekostet haben (Lessmann 2010, S. 387).
Seit der Amtseinführung von Präsident Morales wurden 88 Prozent der Eradikation auf dem Verhandlungsweg erwirkt. Zwangseradikation findet weiterhin außerhalb der definierten Kokaanbauzonen statt, z.B. in Nationalparks. Zu den positiven Anreizen gehören verbesserte Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, Straßen, sowie diversifizierte landwirtschaftliche Produktion und Vermarktung.14
Wer bei der Herstellung von Pasta Básica de Cocaína erwischt wird, verliert seinen cato. Als in den Jahren 2013 und 2014 ernste Finanzierungsproblem herrschten, führten die Gemeinden das Programm trotzdem weiter. Ein Zeichen für den sense of ownership, den das Programm der sozialen Kontrolle genießt. Der Chef der paramilitärischen Drogenpolizei UMOPAR/Leopardos, René Salazar Ballesteros, sagte mir bei einem Besuch: „Früher haben die Bauern die Drogenhändler gewarnt, wenn wir im Anmarsch waren. Heute kommen sie zu uns und zeigen an, wenn irgendwo Pasta Básica hergestellt wird.“
Weiterhin gibt es in Bolivien illegalen Anbau – insbesondere in Gegenden wie Naturschutzgebieten, wo die soziale Kontrolle nicht greift - und Kokainproduktion. Vor allem aber hat Bolivien ein Transitproblem. Rund 50 Prozent der beschlagnahmten Kokapaste und des Kokains kommt aus Peru und ist für den Transport nach Brasilien oder Argentinien – und damit teilweise letztlich Europa - bestimmt.15 Um dem entgegenzuwirken gibt es regionale Fahndungskooperationen mit den Nachbarländern.
Bei Reduzierungen zwischen 5.000 und 11.000 Hektar gab es in den ersten Jahren seit dem Amtsantritt von Morales zunächst ein Anwachsen der Anbaufläche, ab 2010 dann eine deutliche Reduzierung und Stabilisierung des Kokaanbaus. Der Präsident hatte die landesweit zulässige Anbaufläche zunächst per Dekret von 12.000 auf 20.000 Hektar ausgeweitet (bei de facto vorhandenen 25.000 Hektar); das neue Ley General de la Coca vom März 2017 erlaubt nun 22.000 Hektar.16 Seit anderthalb Jahrzehnten verläuft die Kokareduzierung/ Rationalisierung in Bolivien friedlich und im Konsens. Ein großer Gewinn für das Land. Aber: Um dieses Ergebnis zu erreichen wurden seit 2006 erneut mehr als 100.000 Hektar „rationalisiert“, d.h. vernichtet. Ein Nachhaltigkeitsproblem bleibt. Die Marktdynamik sticht auch hier die Politik aus. Es ist schwierig, gegen einen dynamischen und mit persistenter Kaufkraft versehenen Markt zu kämpfen.
Trotzdem: Kokaanbau und Kokainproduktion sind im Rahmen der bolivianischen Möglichkeiten unter Kontrolle. Durch den nunmehr von nationalen Problemen und Interessen geleiteten Ansatz des Coca sí, Cocaina no ist es gelungen, die notorische Gewalt und den sozialen und politischen Sprengstoff aus dem Thema zu nehmen, die mehr als ein Vierteljahrhundert lang vorherrschten. Die Abkehr von außengeleiteten Politiken brachte es auch mit sich, dass das Thema Kokakontrolle in den Außenbeziehungen vom wichtigsten – oder einzigen - Thema zu einem unter vielen wurde.
KOKA-ERADIKATION UND FRIEDEN IN KOLUMBIEN: HUNDERT JAHRE EINSAMKEIT?
Kolumbien hat große Anstrengungen bei der Drogenbekämpfung unternommen und dafür einen hohen Preis bezahlt. Jahre und Jahrzehnte lang konnte Kolumbien die meisten Beschlagnahmungen, die meisten zerstörten Labors, die meisten Verhaftungen und andere Erfolge verbuchen. Nicht zuletzt gelang in der ersten Hälfte der 1990er Jahre – auch mit Hilfe der Befriedungspolitik der Regierung Gavíria - die Zerschlagung der beiden wichtigsten Drogenorganisationen in Medellín und Cali. Doch die Marktdynamik blieb bestehen. Kleinere kriminelle Organisationen führten das Geschäft weiter, illegale bewaffnete Gruppen stiegen tiefer ein und finanzierten sich in wachsendem Maße damit. Kolumbien, wo der Kokaanbau - abgesehen von Territorien indigener Völker - keine ausgeprägte Tradition hatte, stieg in einem Prozess der Importsubstitution in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre selbst zum größten Produzenten von Kokablättern auf. Ertragreichere Sorten und Anbaumethoden sowie effektivere Methoden der Weiterverarbeitung wurden entwickelt. Heute steigert man auch in Peru und Bolivien die Erträge bei der Gewinnung von Pasta Básica de Cocaína aus den Kokablättern mit der método colombiano. Der ehemalige Präsident César Gavíria (1990-1994), wurde - u.a. als Mitbegründer der Comisión Latinoamericana sobre Drogas y Democrácia zusammen mit Fernando Enríque Cardoso und Ernesto Zedillo im Jahr 1999 - einer der prominentesten Befürworter drogenpolitischer Reformen, wie er u.a. in einem Interview mit dem Autor darlegte: „Der Drogenkrieg ist gescheitert“ (Lessmann 1/2016).
Kampagnen zur Reduzierung des Kokaanbaus sind in Kolumbien mehr als ein Vierteljahrhundert alt. Besprühungen mit Pflanzengift gegen Kokafelder vom Flugzeug aus begannen im Jahr 1994. Präsident Ernesto Samper willigte in eine deutliche Ausweitung der umstrittenen Besprühungsprogramme ein, nachdem Kolumbien zweimal die certification für drogenpolitisches Wohlverhalten durch Washington entzogen worden war (1996 und 1997). Den erwähnten Prozess der Importsubstitution in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre vermochten sie freilich nicht aufzuhalten: Gab es zu Beginn der fumigaciones im Jahr 1994 44.700 Hektar Koka in Kolumbien, so waren es im Jahr 2000 163.300. Und während der Kokaanbau 1994 auf sechs Provinzen beschränkt war, gab es zur Jahrtausendwende Kokaanbau in 23 der 33 Departments (Lessmann 2010, S. 384).
Die Besprühungen wurden – nun im Rahmen der seguridad democrática (Plan Colombia) vermehrt unter dem Schutz des Militärs – noch einmal ausgeweitet und von einer Kampagne der manuellen Eradikation (ebenfalls unter dem Schutz des Militärs) ergänzt. Die Drogenpolitik unter der Prämisse der seguridad democrática des Präsidenten Álvaro Uribe Vélez ging davon aus, dass Drogeneinnahmen die wichtigste Stütze illegaler bewaffneter Gruppen darstellen und wollte ihnen diese entziehen. Eine Halbierung des Kokaanbaus zwischen dem Jahr 2000 und 2004 wurde durch eine aggressive Besprühungskampagne erreicht, die sich auf die beiden FARC-Guerillahochburgen Caquetá und Putumayo konzentrierte: In Caquetá ging die Kokaanbaufläche von 26.000 Hektar (2000) auf 6.500 Hektar (2004) zurück; in Putumayo von 66.000 (2000) auf 4.386 Hektar (2004) (UNODC 2009, Tab. 3, S. 13). Das heißt: Die landesweite Reduzierung um 80.000 Hektar wurde praktisch ausschließlich in Caquetá und Putumayo erzielt – Hochburgen der FARC, wo der Anbau in den folgenden Jahren dann auch am stärksten wieder zunahm.
Der Ballon-Effekt wurde auch innerhalb Kolumbiens wirksam. Sehen wir uns die Details des Erfolgsjahres 2008 nach einzelnen Departments an: Den wichtigsten Reduzierungen in Cundinamarca (-91%), Arauca (-79%), Meta (-47%), Vichada (-56%) stehen Zuwächse gegenüber in Caldas (234%), Valle de Cauca (361%), Chocó (159%) und Boyacá (149%). Insgesamt konnte die Kokaanbaufläche damals um 18 Prozent reduziert werden (UNODC June 2009, Tab. 3, S. 13).
Im Ergebnis kann man diese Politik als Nachhaltigkeitsdesaster bezeichnen. Seit Präsident Samper unter Korruptionsvorwürfen Washingtons im Jahr 1994 zur Einwilligung in das Besprühungsprogramm gedrängt wurde, hat man in Kolumbien rund 2,5 Millionen Hektar Koka vernichtet17, etwa das 15-fache des historischen Maximums der Anbaufläche (171.000 Ha. Im Jahr 2017). Bis zum Jahr 2013 wurde alljährlich das Mehrfache dessen „vernichtet“, was überhaupt vorhanden war (vgl. Tab. 1 und 2 mit Tab. 3). Das Gegenteil einer rationalen und nachhaltigen Strategie. Der Kokaanbau ist dadurch zu einer extrem volatilen Angelegenheit geworden. Verschwunden oder auch nur entscheidend vermindert ist er nicht.18
Mit der besonders umstrittenen Besprühung von Kokafeldern mit Pflanzengift aus der Luft kann man vielmehr von einer regelrechten Bauernvertreibung sprechen (vgl. Lessmann 2010, S. 383-385).19 Bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 49,6 Millionen Menschen sind in Kolumbien fast 8 Millionen Menschen auf der Flucht – vor allem infolge des Bürgerkriegs. Kolumbien ist damit noch vor Syrien das Land mit den meisten Binnenflüchtlingen (UNHCR 2019). Hinzu kommen 1,5 Millionen Flüchtlinge aus Venezuela. Die Politik der Kokavernichtung ohne Nachhaltigkeit hat zum Problem unfreiwilliger Mobilität in Kolumbien sicherlich noch beigetragen.20
Es gibt unzählige Berichte und Studien über schädliche gesundheitliche und ökologische Auswirkungen der Besprühung mit Glyphosat und anderen Beimischungen, ebenso wie Klagen über mangelnde Zielgenauigkeit.21 Auch Felder mit legitimen Produkten und selbst Projekte der Alternativen Entwicklung wurden versehentlich besprüht. Es wird von Gegenmaßnahmen der Bauern berichtet, weshalb die empfohlene Konzentration von Glyphosat überschritten und aggressivere Chemikalien beigemischt würden. Vargas (1999) geht davon aus, dass nur weniger als ein Drittel der besprühten Felder auch tatsächlich vernichtet würden. Doch selbst wenn man nur die Angaben über die manuelle Eradikation (Tab. 3) zwischen 2008 und 2018 addiert kommt man auf 442.947 Hektar, das Zweieinhalbfache des historischen Maximums des Anbaus (171.000 Ha.).
Die Strategie der zwangsweisen Kokaeradikation ist nicht nachhaltig und daher zur Drogenkontrolle unbrauchbar. Sie hat stattdessen ökologische Probleme geschaffen und die Lebensunsicherheit in den betroffenen Regionen erhöht. Die Frage muss erlaubt sein, weshalb man ungeachtet desaströser Ergebnisse an dieser Strategie festhält und sogar zu einer Politik der fumigaciones zurückkehren will?
KOKA UND FRIEDENSPROZESS
Mit dem Friedensabkommen von 2016 sollte die Kokareduzierung wie nie zuvor von Maßnahmen der Alternativen Entwicklung begleitet sein. Die betroffenen Familien würden ein Jahr lang eine staatliche Existenzsicherung beziehen (340 USD/ Monat).22
Dafür müssten sie ihre Koka innerhalb von 60 Tagen selbst ausreißen. Der Staat würde in der Folge mit finanzieller und technischer Hilfe bei der Umstellung auf alternative Produkte sowie mit Infrastrukturprojekten helfen. Institutionelle Präsenz würde die Umsetzung dieser Vorhaben sicherstellen. Das Angebot einer einvernehmlichen Lösung im Rahmen eines Programa Nacional Integral de Sustitución de Cultivos Ilícitos (PNIS).
Im ersten Jahr sollten auf diese Weise 100.000 Hektar Koka im Konsens reduziert werden. Viele Experten hielten dieses Programm für das vielversprechendste, das Kolumbien bis dato hatte, aber zu ambitiös. Insbesondere der Zeitrahmen sei zu kurz, zumal die Herstellung institutioneller Präsenz und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den Bauern in den Konfliktzonen eine Herkulesaufgabe sein würde.
Diese äußerst ehrgeizigen Pläne, genauer ihre knappen Fristen, wurden seinerzeit damit begründet, dass man die Entstehung von Machtvakuen verhindern wolle. Doch drei Jahre später bestätigen aktuelle Berichte aus dem Feld die anfängliche Skepsis. Es ist nicht gelungen, entstandene Machtvakuen zu füllen und institutionelle Präsenz herzustellen; noch weniger, Vertrauen aufzubauen. Vielfach wurden von den FARC verlassene Zonen von kriminellen Banden und Drogenhändlern (BACRIM), FARC-Dissidenten, der ELN oder neoparamilitärischen Gruppen besetzt beziehungsweise umkämpft. Lokale Selbstorganisationen wurden in einem Klima der Gewalt weiter geschwächt. Gemeinschaften leiden unter Zwangseradikationen, die im Gegensatz zu den, im Rahmen des Friedensabkommens getroffenen Übereinkünften stehen (vgl. Vargas 9.7.2020)23 Nach Zahlen der NGO Fundación Ideas para la Paz (FIP) gab es in den ersten drei Monaten des Jahres 2020 in der großen Mehrheit der 46 Gemeinden, die am PNIS teilnehmen, Operationen der Zwangseradikation. Betroffene Gruppen leisten oft Widerstand, weil sie diese Zwangseradikationen als Verstoß gegen das Friedensabkommen sehen. Es komme zu Menschenrechtsverletzungen, exzessiver Anwendung von Gewalt, Todesopfern24 und Festnahmen von Bauern durch Spezialkräfte, die sie verdächtigen, FARC-Dissidenten zu sein. Oft geschieht dies in abgelegenen Gebieten, ohne staatliche Präsenz. Folglich finde keine Beaufsichtigung dieser Operationen durch das Ministerio Público oder die Defensoría del Pueblo statt, wie es nach Kapitel VII des Drogengesetzes Ley 30 vorgesehen sei (vgl. Vargas 15.7.2020).
Kriminelle Gruppen und FARC-Dissidenten versuchen, die Kontrolle über lukrative Ressourcen und die Märkte für Pasta Básica zu erlangen. Mitunter komme es dabei auch zu Allianzen zwischen Verbrechern und Angehörigen staatlicher Sicherheitskräfte. Militäraktionen der Eradikation und Angebote von Alternativen würden nicht im Zusammenhang gesehen: „De qualquier manera, es notorio la descoordinación institucional“ (Vargas 9.7.2020). Das Militärkommando im Cauca, so Vargas, betrachte das Friedensabkommen („der vergangenen Regierung“, sic.) beispielsweise als Hindernis für die Eradikation, letztere als „Verfassungspflicht“.25 So verurteile man auch den durch die Verfassung geschützten Anbau in Indígena-Schutzgebieten. Erst im Juni 2020 – vier Jahre nach der Unterzeichnung des Acuerdo de Paz – wurde damit begonnen, Abkommen mit Produzenten in Schutzgebieten auszuhandeln (Vargas 15.7.2020). „Todo el contenido, implicaciones, compromisos del problema de los cultivos de uso ilícito, en el marco del acuerdo para el fin del conflicto, es desconocido“ (Vargas 9.7.2020).
Unter diesen Gegebenheiten strebt die Regierung die Wiedereinführung der Besprühung von Kokafeldern mit Pflanzengift aus der Luft an, die 2015 eingestellt wurde. Bis 2023 soll so eine Halbierung des Kokaanbaus in Kolumbien erreicht werden.26 Im Jahr 2018 gab es 169.000 Hektar Koka, von denen nach Vargas (9.7.2020) schätzungsweise 230.000 indigene, afro-kolumbianische und bäuerliche Familien lebten. Das Eradikationsziel für 2020 liegt bei 130.000 Hektar, erheblich mehr als die 80.000, die man sich für 2019 vorgenommen hatte und von denen man an realer Verminderung wohl 15.000 erreichte.27 Die oben diskutierten Muster von Eradikation und Produktion scheinen sich ungebrochen fortzusetzen. Reduzierungen in Caquetá, Antioquia, Nariño und Bolívar stehen aktuell Zuwächse in Norte de Santander und Valle de Cauca gegenüber (UNDCP Informe de Monitoreo 2020). Parallelen zum oben dargestellten Jahr 2008 werden deutlich. Nichts deutet darauf hin, dass die Zielvorgaben heute realistischer und die Ergebnisse nachhaltiger sind als vor 10 oder 20 Jahren. Es ist vielmehr zu erwarten, dass die neuerliche Eradikationsoffensive auch diesmal nicht nachhaltig sein wird, und es besteht die Gefahr, dass damit die Unsicherheit der Lebensumstände in den betroffenen ländlichen Gebieten vergrößert wird.
SCHLUSSFOLGERUNGEN
Die internationale Drogenbekämpfung ist am Scheideweg. Sie hat jahrzehntelang nicht die gewünschten Erfolge gebracht. Die Probleme nehmen zu. Eine wachsende Zahl von Staaten (oder Bundesstaaten) verlässt jeweils mit gewissen Aspekten ihrer Drogenpolitik die Bestimmungen der UN Konventionen (Lessmann 2017). Eine Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen (UNGASS) zum Thema Drogen (19.-21.4.2016) suchte nach notwendigen Reformen. Dabei ging es den lateinamerikanischen Initiatoren darum „...alle Optionen zu analysieren, einschließlich regulierender – oder Marktmechanismen, um ein neues Paradigma zu etablieren, das den Ressourcenfluss zu Gruppen organisierter Kriminalität verhindert.“ (Declaración Conjunta 2012) Auch wenn sich die Initiatoren mit ihren Forderungen so nicht durchsetzen konnten, so legen die UNGASS-Abschlusserklärung und nachfolgende Dokumente doch einen neuen, deutlich stärkeren Fokus auf gesundheitspolitische Ansätze (Prävention und Therapie) sowie die Einhaltung der Menschenrechte. Internationale Drogenpolitik aus der Sicht der Vereinten Nationen ist nun eingebettet in die Metas de Desarrollo Sostenible/Sustainable Development Goals. Schon bei den Vorbereitungen zu UNGASS 2016 waren neben der WHO (OMS) erstmals auch andere Unterorganisationen der UN, wie UNAIDS und das Office des High Commissioner for Human Rights (OHCHR) zugezogen worden. Bemerkenswert war insbesondere die explizite Abkehr auch einschlägiger UN-Organisationen vom „War on Drugs“.28 Vor allem aber räumt die Abschlusserklärung erweiterte Interpretationsspielräume zur Auslegung der Konventionen ein und erkennt damit an, dass es nicht das Drogenproblem gibt, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Probleme in verschiedenen Regionen und Ländern, sowie unterschiedliche Voraussetzungen, um diese anzugehen.29
Diese erweiterten Spielräume können genutzt werden, um Drogenpolitiken zu entwickeln, die an den eigenen Problemen und den eigenen Interessen orientiert sind. Kolumbien muss und kann nicht die komplexen Drogenprobleme der Welt lösen. Wenn es um deren gesundheitliche Dimension geht, stehen sie im Zusammenhang mit anderen Substanzen, die dort nicht produziert werden. Geht es um Kokain, so kann Kolumbien sich und der Welt mit einem konsequenten Kampf gegen kriminelle Organisationen helfen, die eine Bedrohung für Rechtstaatlichkeit und Demokratie darstellen. Dabei sollte man insbesondere an deren Daseinszweck ansetzen: den Profiten (Stichwort: Geldwäsche).
Der Kampf gegen den Anbau sogenannter Drogenpflanzen hat sich dagegen als drogenpolitisch unwirksam erwiesen, weil die Ergebnisse bei gegebener Marktdynamik nicht nachhaltig sind. Nachhaltige Ergebnisse einer Kontrolle und gewissen Eindämmung von deren Anbau lassen sich nur mit, nicht gegen die bäuerlichen Produzenten erzielen. Hierzu sind langfristig angelegte, partizipative Strategien gefragt. Es ist falsch, sie als Teil krimineller Netzwerke des Drogenhandels anzusehen. Das mag für einzelne Akteure zutreffen, nicht aber für das Gros der Produzenten. Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist es, Vertrauen zum Staat herzustellen und arbeitsfähige lokale Institutionen zu schaffen. Mit militärischen Zwangsmaßnahmen oder gar einer Rückkehr zu einer Politik der fumigaciones aereas, erreicht man das Gegenteil.
Sofern man nicht den bolivianischen Weg einer Gesetzesänderung gehen will oder kann, weil man dabei mit großem Widerstand der internationalen Gemeinschaft rechnen muss, bietet die Corona-Pandemie eine Gelegenheit zu einem Eradikations-Moratorium aus epidemiologischen Erwägungen und einem Neustart im Sinne einer Rückkehr zur konsequenten Umsetzung der einschlägigen Bestimmungen des Friedensabkommens sowie zur Anwendung der rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Kontrollmechanismen aus dem Ley 30.
Deutsche Vorabversion eines Working Papers für das deutsch – kolumbianische Friedensinstitut CAPAZ. (www.instituto-capaz.org)
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Fußnoten:
2 www.revistaelcongreso.com/actualidad/mindefensa-anuncia-creacion-de-unidad-especial-de-identificacion-ubicacion-y-judicializacion-de-perpetradores-de-homicidios-colectivos
3 Nach einem Prozess der Importsubstitution durch Eigenanbau in den USA spielt kolumbianisches Marihuana auf den internationalen Drogenmärkten praktisch keine Rolle mehr und der nordamerikanische Markt für Heroin wird von Mexiko dominiert; Kolumbien produziert heute weniger als 1 Prozent des globalen Schlafmohns (UNODC 2020/3, S. 9).
4 Eine aktuelle Schätzung der kolumbianischen Bruttoeinnahmen aus der geschätzten Kokainproduktion liegt bei 1.928 USD, wovon die ländlichen Produzenten von Koka, Pasta Básica und Kokain-HCL zusammengenommen 810 Mio USD erhalten. (unodc.org/documents/colombia/2020/junio/Resumen_Ejecutivo_Censo_Coca_2019_COL.pdf)
5 Augenblicklich sind es 273 kontrollierte Substanzen im Sinne der Konvention (UNODC 2019/2, S.50).
6 Laut dem neuesten „World Drug Report“ (UNODC 2020) gibt es noch keine gesicherten, aktuellen Zahlen zum Kokaanbau im Jahr 2019 und gewisse methodologische Unsicherheiten, weshalb hier überwiegend die Zahlen des UNODC 2019 herangezogen werden. Häufig abweichende – und zumeist etwas höhere – Zahlen liefert der jährlich erscheinende International Narcotics Control Strategy Report (INCSR) des U.S. Department of State. Dessen Zahlen beruhen überwiegend auf Erhebungen der CIA. Wir ziehen hier die Angaben der Vereinten Nationen heran, die auf dem seit dem Jahr 1999 bestehenden Sistema Integrado de Monitoreo de Cultivos Ilícitos (SIMCI) beruhen, an dem auch die kolumbianische Regierung beteiligt ist.
7 Hinsichtlich der Größenordnung sind wir auf Schätzungen angewiesen. Das UNODC (2015) nennt die Zahl von 290.992 Hektar Wald, die zwischen 2001 und 2014 für den Kokaanbau in Kolumbien abgeholzt worden seien. Die peruanische Nationale Kommission für Entwicklung und Leben (DEVIDA) schätzt die Entwaldung für den Kokaanbau in Peru im letzten halben Jahrhundert auf 2,3 Millionen Hektar und warnt vor hohen Rückständen von Blei, Kadmium, Schwefelsäure, Äthyläther, Ammonium-Chlorid und anderen sogenannten Precursor-Chemikalien in Böden und Gewässern. Bei einer EU-Mission in die Region Pozuzo-Palcazu im Jahr 1998 erklärten mir Bauern, dass sie nach dem Zusammenbruch des Kokamarktes dazu übergegangen seinen, Wälder abzuholzen und das Holz flussabwärts in Pucallpa zu verkaufen. Das sei die einzige Alternative, die unmittelbar cash-Einkommen bringe. Die Yuquis, ein kleines Volk von Jägern, Sammlern und Fischern, das im bolivianischen Kokaanbaugebiet des Chapare lebt und erst in den 1950er Jahren erstmals von Missionaren kontaktiert wurde, klagen seit Jahren darüber, dass die Fische in den Flüssen durch die Vergiftung immer weniger werden (vgl. Lessmann 2019).
8 Zwischenzeitlich haben zentralamerikanische Länder, wie El Salvador und Honduras wiederum erheblich höhere Mordraten als Mexiko, wobei viele dieser Taten im Zusammenhang mit dem Drogenhandel stehen. Opfer von Mord und Totschlag pro 100.000 Einwohner: Mexiko 24,8, Kolumbien 24,9, Honduras 41,1, El Salvador 51,0 (UNODC 2019 Homicide Study).
9 In Chimoré anwesend war u.a. der Exekutivdirektor des Drogenkontrollprogramms der Vereinten Nationen, Pino Arlacchi. U.S.-Präsident Bill Clinton schickte ein Glückwunschtelegramm.
10 Basis für diesen Aufstieg war die sindicato-Bewegung der Kokabauern, die sich im Widerstand gegen die Kokaeradikation von einer Selbstorganisation bäuerlicher colonos zu einer der schlagkräftigsten Organisationen der Zivilgesellschaft in Lateinamerika entwickelt hatte (vgl. Lessmann 2005; latautonomy.com/EstudioPolitico_Bo_Lessmann.pdf, insb. S.26-37).
11 Die nachfolgenden Ausführungen beruhen insbesondere auf einem Besuch im Chapare (Trópico de Cochabamba) im Herbst 2015. Bei dieser Gelegenheit konnte ich zusammen mit dem Vizeminister für Defensa Social, Felípe Cáceres, und den Kommandeuren der Spezialkräfte für den Kampf gegen den Drogenhandel per Hubschrauber ein Kokainlabor bei Yapacaní besuchen sowie Interviews mit Kokabauern der Zone führen (vgl. Lessmann 2016 sowie Farthing/ Ledebur 2016, Grisafi/ Farthing/ Ledebur 2018 und Ledebur/Youngers).
12 Im Rahmen des EU-gesponserten Forschungsprojekts Latautonomy (2002-2005) über Modelle multikultureller Autonomie wurde für den bolivianischen Chapare und seine bäuerlichen sindicato-Organisationen der höchste Wert sozialer Kohäsion ermittelt (Gabriel/ López y Rivas 2005; latautonomy.com).
13 Laut ODCCP 2002 (waren) es im Jahr 1989 sogar 52.900 Hektar. In Bolivien und Peru ist nur manuelle Eradikation erlaubt. Biologische oder chemische Mittel sind gesetzlich verboten.
14 Im Jahr 2011 wurde unter anderem im Chapare auch eine Fabrik für Kokaprodukte eingeweiht; in den Yungas wurden zwei Fabriken für Kokateebeutel und -mehl reaktiviert. Aber ohne eine internationale Kokafreigabe durch eine Änderung der Single Convention bleibt der Export solcher Produkte versperrt und der nationale Markt ist zu klein.
15 Peru verfolgt übrigens nach wie vor eine Politik der manuellen Zwangseradikation.
16 Grundlage für diese Festlegung war eine EU-finanzierte Studie über den Kokaanbau und den traditionellen Verbrauch vom Herbst 2013.
17 Eigene Berechnungen auf der Grundlage der Eradikationszahlen in den UNODC World Drug Reports. Zwischen 1994 und 2008 betrug das Eradikationsergebnis demnach 1.615.663 Hektar (vgl. Lessmann 2010, S. 383-384); zuzüglich von 2009-2018 manuell 346.944 Hektar und durch Besprühung (bis 2015) 550.346 Hektar (UNODC 2020, Statistical Annex, Tab. 6.1.2.) ergibt dies ein Gesamtergebnis von 2.512.953 Hektar.
18 Diese Tatsache mag teilweise den Umstand reflektieren, dass nicht jeder besprühte Hektar tatsächlich auch vernichtet war. Die Bauern hatten Gegenstrategien, besprühten die Blätter ihrerseits zum Schutz mit Fettlösungen und legten vor allem gleich wieder neue Felder an. Möglicherweise wurden Mehrfachbesprühungen mit eingerechnet.
19 Die Besprühungen wurden dort im Mai 2015 nach zwei Jahrzehnten schließlich gestoppt. Dadurch soll es unmittelbar zu einem Anstieg der Anbaufläche um 44 Prozent – im Andenraum um 10 Prozent auf 132.300 Hektar gekommen sein (UNODC 2016, Annex 5). Die Besprühungen mit Glyphosat wurden im April 2016 wieder aufgenommen, allerdings nun vom Boden aus und nicht mehr aus der Luft. Die Regierung von Präsident Iván Duque plant unterdessen, die Besprühung von Kokafeldern mit Glyphosat auch aus der Luft wieder aufzunehmen.
20 Verschiedene Autoren beschreiben Landraub als langandauerndes Phänomen in Kolumbien: „Ranchers, investors and legal commercial farmers have created and strenghened private armies, presented to public opinion as a defense against guerilla abuses. However, these armed groups serve as a means to violently expropriate land from indigenous people, peasants and settlers. This violent seizing of land has a tremendous social impact, contributing to cycles of violence and continual forced displacement with more serious results than the production and export of illicit substances.“ (Vargas 1999)
21 Es wird geschätzt, dass zwischen 1994 und 2014 mehr als 1,75 Millionen Hektar mit Glyphosat besprüht wurden (vgl. Morales 2017, S.11), eine Zahl, die mir aufgrund eigener Berechnungen zur Gesamteradikation eher niedrig erscheint (vgl. FN 17).
22 Neuangelegte Felder würden von dieser Regelung ausgeschlossen sein, um Trittbrettfahrer auszuschließen.
23 „El investigador Ricardo Vargas, asociado del TNI, analiza la crisis de seguridad y la situación de vulnerabilidad que padecen varias comunidades rurales e indígenas en Colombia en medio de la pandemía. Además de los riesgos de contagio, las comunidades hoy enfrentan operativos de erradicación forzada de cultivos ilícitos por parte del Estado, contrario a lo pactado en el Acuerdo de Paz; y al último tiempo sufren las acciones violentas contra organizaciones y asesinatos de líderes sociales por parte de grupos armados ilegales que han visto en la crisis una oportunidad para desplazar comunidades y acaparar territorios.“ (Vargas 9.7.2020)
24 Bei Operationen der Zwangseradikation waren in den ersten 7 Monaten 2020 7 Personen gestorben (Vargas 6.8.2020).
25 Vargas (9.7.2020 FN 7) bezieht sich hier auf die Aussage des Oberkommandierenden Generalmayors Wilson Chávez vor der Comisión Segunda del Senado vom 6.5.2020.
26 Übrigens das gleiche Ziel, wie zur Jahrtausendwende am Beginn des Plan Colombia.
27 UNODC (Informe de Monitoreo 2020): 2018 waren es 169.000 Hektar, 2019 154.000 Hektar. Vom erwähnten, ursprünglichen 100.000-Hektar-Eradikationsziel im ersten Jahr nach dem Acuerdo de Paz hat man 52.001 Hektar (2017) und 59.978 Hektar (2018) umgesetzt (Tab.3).
28 Völlig neu war in diesem Zusammenhang die wiederholte und explizite Distanzierung vom 'Drogenkrieg' und seiner Sprache. So war schon die Presseerklärung des INCB (JIFE) zum Erscheinen des Jahresberichts 2015 am 2. März 2016 mit der Kernaussage überschrieben: „The international drug control treaties do not mandate a „war on drugs“, says INCB Report“. Und im Bericht selbst heißt es unter anderem: „Some of the existing policies in some countries, such as militarized law enforcement, policies that disregard human rights, overincarceration, the denial of medically appropriate approaches, are not in accordance with the principles of the conventions.“ (INCB 2015, S. 6)
29 Eine Presseerklärung des UNODC zum Abschluss der UNGASS-Konferenz hebt dazu ausdrücklich hervor: „At the opening of the plenary, Member States adopted the outcome document of the session, which reaffirms their commitment to undertake innovative approaches to drug control within the framework of the three international drug control conventions. It also recognizes that the conventions allow for sufficient flexibility for States parties to design effective national drug policies.” (UNODC Chief: UNGASS momentum can drive progress in addressing world drug problem, UNIS/NAR/1275, 21 April 2016 auch: www.unis.unvienna.org/unis/en/pressrels/2016/unisnar1275.html)