Robert Lessmann
Die
Welt ist im Ausnahmezustand. Ein großer Teil der Erdbevölkerung
steht unter „Hausarrest“, um die Verbreitung eines Virus
einzudämmen, das man noch nicht gut kennt und gegen das man kein
Mittel hat. Fast
drei Millionen bekannte
Infizierte, mehr
als 200.000
Todesopfer (Stand 26.4.).
Die Dunkelziffer ist vermutlich hoch.
Das
Virus unterscheidet nicht. Und doch trifft es (wie immer) jene am
heftigsten, die am wenigsten dafür können, die Ärmsten und
Schwächsten – im Süden wie im Norden. Die Gründe dafür sind
politisch. Das zeigt das Epidemiegeschehen wie in einem Brennglas. Noch
ist kein Ende abzusehen, sind die Zahlen und Erkenntnisse vorläufig,
sind die Dunkelziffern hoch, besonders im Süden. Eine erste
Zwischenbilanz zeigt: Das „alte Europa“ (US-Verteidigungsminister
Donald Rumsfeld, anno 2003) hat die Krise bisher ganz gut gemeistert.
Italien und Spanien wurden von der Pandemie überrascht. Andere
hatten mehr Zeit, Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Die höchsten
Opferzahlen gibt
es in
Ländern, die früh betroffen waren, die stark in den globalen
Personenverkehr eingebunden sind, in Ballungsräumen sowie in
Ländern, deren Gesundheits- und Sozialsystem mangelhaft bis
ungenügend ist und
deren Machthaber der Krise intellektuell und/oder charakterlich nicht
gewachsen sind. Die
liegen nicht unbedingt in der Dritten Welt. Ein Viertel aller
Corona-Todesopfer weltweit ist in den USA zu beklagen, mehr als 10 Prozent in
Großbritannien; zwei Drittel aller Covid-Toten Lateinamerikas
starben in Jair Bolsonaros Brasilien.
Die Welt ist im Ausnahmezustand und im Verordnungsmodus. Auch in Österreich: Zwischen Verschleierungsverbot und Maskenzwang liegen nur zweieinhalb Jahre. Die Bürger nehmen es hin, die Parlamente schweigen, folgen epidemiologischen Geboten. Zu unbekannt und tückisch ist die Krankheit, zu verheerend sind die Opferzahlen, besonders dort, wo man sich nicht vorbereiten konnte – oder wollte. Die normative Kraft des Faktischen. Wer möchte schon als „lieber Peter“ dastehen. Aber: Was kommt als nächstes? Masken, so hieß es noch vor vier Wochen (als noch keine erhältlich waren), seien nutzlos bis kontraproduktiv. Würden wir es auch hinnehmen, wenn sich morgen eine Auffassung durchsetzte, wonach Dunkelhäutige oder Grünäugige oder Träger der Blutgruppe xy besonders virulent und daher temporär zu isolieren seien?
„...aber wo bitte ist Greta?
Als ich an diesem Beitrag zu arbeiten begann, beging die UNO gerade den „Tag der Mutter Erde“ (22.4.), der auf bolivianische Initiative (eigentlich war es primär der damalige bolivianische UNO-Botschafter Pablo Solón) eingerichtet wurde: Die aktuelle Krise sei ein letzter Weckruf. Die Biodiversität nehme rapide ab, der Klimawandel treibe auf einen unumkehrbaren Punkt zu. Vor wenigen Jahren hätte man diese Aussagen leicht einem überspannten Ökosozialisten zugeschrieben. Heute stammen sie von UNO-Generalsekretär António Guterres. Er ruft zu mehr internationaler Zusammenarbeit auf. Nur wenige Tage nachdem Donald Trump inmitten der größten globalen Gesundheitskrise der Weltgesundheitsorganisation WHO den Geldhahn zugedreht hat, weil er unermüdlich neue Sündenböcke präsentieren muss, um von der eigenen Ignoranz und jahrzehntelangen Versäumnissen seiner Partei abzulenken.
Gleichzeitig steuern wir auf den nächsten Sommer der Hitzerekorde und der Trockenheit zu. In Deutschland brennen schon jetzt (Mitte April) die ersten Wälder. Ernteausfälle sind zu befürchten. Wird der „liebe Peter“ auch noch schweigen, wenn die Regierung das Trinkwasser rationiert? Die UNO-Klimakonferenz wurde wegen der Coronakrise abgesagt. Viele fragen sich ohnehin, worin der Nutzen solcher Zusammenkünfte besteht, auf denen ungenügende Ziele vereinbart und dann doch nicht eingehalten werden. Aber was ist die Alternative?
Im Automobilland Deutschland wird für das „Wiederhochfahren“ der Wirtschaft nach der Coronakrise tatsächlich eine Neuwagenprämie vorgeschlagen. Die desaströse Braunkohleverstromung soll dort bis 2038 weiter gehen, wegen der Arbeitsplätze; in Österreich endete sie erst heuer. Der „liebe Peter“ lässt grüßen. Reglementierungen der wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten verabscheut er oder hält sie zumindest für kleinlich. Wie lange können und wollen wir uns den „lieben Peter“ in uns allen noch leisten?
Kriminelle Strukturen
Arbeitnehmerschutz? Lästig. Artenschutzabkommen? Peanuts! Die Suche nach der Quelle der Pandemie bringt wilde Verschwörungstheorien hervor und die Weltmächte gegeneinander auf. Ein geheimes Labor? Hauptverdächtig sind vielmehr chinesische Lebendtiermärkte und das Pangolin, ein putziges kleines Schuppentier, das als Überträger von der Fledermaus zum Menschen fungiert haben soll. Der Sprung nach Europa und in die Welt hinaus könnte über Wanderarbeiter erfolgt sein, die nach dem chinesischen Neujahrsfest (25.1.) zurück an ihre Arbeitsstätten in Italien gereist sind. Pino Arlacchi („Schiavi“) und Roberto Saviano („Gomorra“) schrieben schon vor mehr als einem Jahrzehnt über sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse und Unterkünfte, Produktfälschung, Steuerbetrug und Missachtung von Umweltauflagen in sino-italienischen Mafia-Textilbetrieben; Gewerkschafter kämpften dagegen. Ob es tatsächlich so war? Vieles spricht dafür. Jedenfalls findet spätestens an dieser Stelle die Metapher vom „lieben Peter“ aus der europäischen Viren-Drehscheibe in Tirol ihre Grenzen, denn wir verlassen den Bereich der gedankenlosen bis groben Fahrlässigkeiten und wenden uns der organisierten Kriminalität zu. Dass der Textilmafia in der Lombardei und im toskanischen Prato nicht längst das Handwerk gelegt wurde, ist ein europäischer Skandal auch jenseits von Corona und Zeichen dafür, wie weit Mafiaverbindungen reichen. Die von der Pandemie gebeutelte, große europäische Kulturnation beklagt sich zurecht, dass Nachbarschaftshilfe erst viel zu spät einsetzte. Apropos: Was macht eigentlich derzeit Frau von der Leyen beruflich? Es waren dann Russland und China, die beisprangen. Italien verdient jede mögliche Hilfe. Indes: Pauschale Blankoschecks auch an (mögliche zukünftige) Regierungen und Behörden, die durch Tun oder Unterlassen mit der Mafia im Bunde sind, können keinem Steuerzahler zugemutet werden.
Das putzige Pangolin ist vom Aussterben bedroht; es ist durch die UN Convention on International Trade in Endagered Species of Wild Fauna and Flora aus dem Jahr 1975 geschützt. Die VR China ist ihr 1981 beigetreten. Dass es in chinesischen und vietnamesischen Feinschmecker-Restaurants als teuere Delikatesse auf den Tisch kommt ist so verboten wie sein Weg über die dortigen Wetmarkets. Was nicht verbotenerweise im eigenen Land erjagt oder gefangen wird, kommt überwiegend aus Indonesien und Afrika. Das Pangolin ist das meistgeschmuggelte Säugetier. Laut dem Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung der Vereinten Nationen dürfte das Volumen des illegalen Handels in den letzten Jahren im Bereich von Millionen tiefgefrorener (in den Gourmetrestaurants bevorzugt man freilich lebende) Tiere liegen. Die internationalen Routen und Organisationen sind dieselben wie für Elfenbein und Nashorn. Während die Führung in Peking im Ruf steht, die eigene Bevölkerung lückenlos zu überwachen, kann sie ein Artenschutzabkommen nicht umsetzen und ihre Gesetze nicht vollziehen? Als die Welle der Infektionen in der Stadt Wuhan anrollte, wurde totgeschwiegen, dementiert, vertuscht – wurden frühe Warner, wie der inzwischen selbst an COVID-19 verstorbene Arzt Dr. Li Wenliang, gnadenlos verfolgt. War es Scham über diese Relikte von Jäger- und Sammler-Kultur in einer hochmodernen, dynamischen und globalisierten Gesellschaft? Was passieren kann, wenn beide zusammentreffen, erleben wir nun gerade im Weltmaßstab. Wollte man eine Panik vermeiden? Wollte man sich vielleicht gar einen Vorsprung verschaffen, beim Wettlauf um einen milliardenschweren Impfstoff? Oder war es einfach nur die Schwerfälligkeit einer von Kotau und Repression gehemmten Bürokratie? Die chinesische Führung hat hier ein Glaubwürdigkeitsproblem und trägt eine riesige Verantwortung. Und: Artenschutz ist eben keine Lappalie. Mediziner hatten seit vielen Jahren vor der Möglichkeit einer solchen Pandemie gewarnt.
Ein jüngeres Beispiel war das Arena-Virus in Bolivien im letzten Jahr. Es wurde wohl von Waldratten übertragen und forderte einige Todesopfer, darunter die beiden behandelnden Ärzte Ximena Cuéllar und Gustavo Vidales. Auch dort wurde der Regierung spätes Handeln vorgeworfen. Freilich ist Bolivien keine Hightech-Supermacht, sondern das Armenhaus Südamerikas. Und die Sache ging relativ glimpflich aus, denn es handelte sich nicht um eine Millionenstadt, sondern um ein abgelegenes Nest namens Caranavi am Fuße der Andenkette.
Zum Beispiel Bolivien
Um nach Caranavi zu gelangen, fährt man vom bolivianischen Regierungssitz La Paz über den 4.670 Meter hohen Pass „La Cumbre“ und dreieinhalbtausend Höhenmeter steil hinunter auf einer der abenteuerlichsten Straßen der Welt an den Beginn Amazoniens. Der obere Teil wurde durch eine, im Jahr 2007 eröffnete Asphaltstraße entschärft, die freilich wegen der extremen geografischen Verhältnisse auch immer wieder gesperrt werden muss. Die ursprüngliche Straße, mit ihren bis zu 400 Meter tiefen Abgründen, ist heute zumeist Mountainbikern und Touristengruppen vorbehalten. Im unteren Teil, zwischen Coroico und Caranavi, sind die Abgründe nicht mehr so tief, doch die Straße so eng und gefährlich wie eh und je. Bei der Vorbereitung der Dreharbeiten zum Dokumentarfilm „Die Todesstraße nach La Paz“ holte ich mir in Caranavi im Jahr 1994 den zweitheftigsten Durchfall meiner langen Reisekarriere. Ich hatte dort eine „Wildplatte“ mit offenbar verdorbenem Gürteltierfleisch bestellt. Einige Tage und Rollen Toilettenpapier später war die Sache zum Glück ausgestanden, denn von einem „Gesundheitssystem“ konnte damals in Bolivien nicht die Rede sein – schon gar nicht außerhalb der großen Städte.
Ein Vierteljahrhundert später und nach 14 Jahren proceso de cambio (Prozess des Wandels) unter dem linkspopulistischen Präsidenten Evo Morales und seinem Movimiento al Socialismo (MAS) sieht das heute anders aus – aber im Hinblick auf Corona auch nicht wirklich gut: Man setzte weiter auf den Export von Erdöl und Erdgas. Die Quellen wurden nun nationalisiert. Die Gewinne der transnationalen Partner in den Joint Venture Unternehmen wurden geschmälert und Geld in die Staatskassen gespült. Die Devisenreserven stiegen von 1,7 Milliarden USD (2005) auf 15,1 Mrd (2014) und sanken wieder auf 6,4 Mrd (2019). Ein Mindestlohn wurde eingeführt und eine Mindestrente, eine Schuljahresabschlussprämie für Familien und ein Mutter- und Kind-Bonus. Die Mütter- und Kindersterblichkeit sank um mehr als ein Drittel. Die Impfrate wurde deutlich erhöht. Auf dem Lande entstanden Gesundheitsposten – auch mit Hilfe kubanischer Ärzte. Deren Anwesenheit führte freilich zu Konfrontationen mit der einheimischen Ärzteschaft. Ärztestreiks gegen die unentgeltliche Konkurrenz waren an der Tagesordnung, das Gesundheitssystem daher nicht organisch, sondern fragmentiert.
Den Gegebenheiten entsprechend wurde in die Basisgesundheit investiert. Die Gesundheitsausgaben, die im Jahr 2003 noch bei 176 USD pro Kopf lagen, haben sich seit 2006 mehr als verdreifacht. Die durchschnittliche Lebenserwartung kletterte von 64,4 Jahren (2004) auf 71,2 (2018) – sensationell! Doch qualitativ hielt die Entwicklung nicht Schritt und es werden Defizite beklagt. Gab es im Jahr 2003 12,2 Ärzte pro 10.000 Einwohnern, so waren es 2018 16,1. Die Zahl der Hospitalbetten hat sich während der MAS-Regierung kaum verändert; man rechnet im letzten Jahrzehnt mit einem Verhältnis von 11 zu 10.000 Einwohnern – in Deutschland sind es 83, in Österreich 76. Und sie fallen deutlich hinter WHO-Standards zurück. So sieht das Weltentwicklungsprogramm der UNO (UNDP) zwar bedeutende Fortschritte, die Resultate seien aber "unzureichend".
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„El sistema de salud en todos sus niveles no cuenta con la capacidad de atender oportunadamente con estándares mínimos de cualidad a todos sus beneficiarios“, schrieb eine UNDP-Studie aus dem Jahr 2015.“
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Dazu kommt, dass die Mehrzahl der Menschen nicht krankenversichert ist. Selbst in den Metropolregionen der Städte Santa Cruz, Cochabamba und La Paz/ El Alto gibt nur etwa die Hälfte der Bevölkerung an, im Krankheitsfall auf das öffentliche Gesundheitssystem zuzugreifen (2,5 Mio), private Einrichtungen würden von rund einer Million Menschen genutzt und traditionelle Heiler von 12 Prozent der Bevölkerung.
Die MAS-Regierung reagierte auf die Kritik des UNDP und die allgemeine Unzufriedenheit im Wahljahr 2019 mit der Einführung eines kostenlosen Gesundheitssystems (SUS – Ley 1.152 vom 20.2.2019). Für fünf Millionen Bolivianerinnen und Bolivianer (knapp die Hälfte der Bevölkerung) die bisher in keiner Weise versichert waren, sollten 1.200 in einem Katalog gelistete Behandlungen gratis und eine Grundversorgung im nächsten Gesundheitszentrum sichergestellt sein. Mit einem Budget von 200 Millionen USD sollten neun neue Krankenhäuser gebaut werden und 8.000 neue Ärzte finanziert. Abgesehen davon, dass das Budget dafür entschieden zu niedrig veranschlagt ist, führte die Einführung des SUS ohne vorher die nötige Infrastruktur zu schaffen zu chaotischen Zuständen in den Krankenhäusern. Die Ärzte traten einmal mehr in den Streik und Gesundheitsministerin Gabriela Montaño, der schon in der Arena-Virus-Krise vorgeworfen wurde, zu spät gehandelt und abgewiegelt zu haben, geriet weiter unter Druck. Ein weiterer Faktor für die Stimmenverluste der MAS bei den Wahlen vom 20. November 2019, die letztlich dann im Chaos, im Rücktritt von Morales und in der Machtergreifung durch die „Interimspräsidentin“ Jeanine Añez endeten.
Bei mangelhafter Legitimität und mäßigen Prognosen dürfte der die Absage der für den 3. Mai angesetzten Wahlen wegen der Corona-Pandemie nicht ungelegen kommen. Doch die Chancen, sich bei der Bewältigung der Gesundheitskrise zu bewähren, stehen schlecht. Das Gesundheitssystem ist auf eine solche Pandemie nicht vorbereitet. Meine Recherche zur Zahl der Intensivbetten/ Beatmungsplätze blieb ergebnislos – ihre Zahl dürfte gegen Null gehen, jedenfalls außerhalb einiger Privatkliniken. Dazu müsste für jedes dieser Betten eine besonders geschulte Intensiv-Krankenschwester zur Verfügung stehen. Die 750 kubanischen Mediziner, die von der „Interimsregierung“ im November mit Schimpf und Schande aus dem Land gejagt wurden, werden nun fehlen.
Der „Interimsregierung“ fehlt es an Erfahrung. Während auf der Südhalbkugel der Winter näher rückt, warten im kargen Hochland an der Grenze zu Chile seit Wochen hunderte von Bolivianerinnen und Bolivianern, die zurück nach Hause wollen. Drastische Ausgangsbeschränkungen wurden eingeführt und drakonische Strafen für ihre Übertretung. Was auch sonst? Es kontrollieren Polizei und Militär.
Schuhputzer Anselmo sitzt mit seinen 70 Jahren wie immer an „seiner“ Kreuzung, einem Verkehrsknotenpunkt in der Stadt El Alto, doch die Kundschaft ist rar. Gestern habe er sechs Bolivianos verdient (85 Eurocent). Damit stockt er seine „renta dignidad“ auf, die von der MAS eingeführt worden war, knapp 30 Euro im Monat. Und er riskiert damit bis zu zehn Jahre Gefängnis. Doch wie können Ausgangsbeschränkungen eingehalten werden, wenn mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen im informellen Sektor arbeiten und auch ein Großteil der Versorgung über den informellen Straßenhandel läuft?
Ab Anfang Mai sollen Boni für Familien und Menschen ohne Einkommen eingeführt werden. Seit die MAS-Regierung solche Sozialleistungen eingeführt hat, kann man es sich nicht mehr leisten, einfach nichts zu tun. Dazu hat die „Interimsregierung“ einen Kredit von 327 Millionen USD beim IWF aufgenommen – zum ersten Mal seit 14 Jahren. Luis Arce, der Spitzenkandidat der MAS und frühere Superminister für Wirtschaft und Finanzen sowie Architekt des bolivianischen „Wirtschaftswunders“, kritisiert, dass man damit die wirtschaftliche Souveränität wieder aus den Händen gibt. Doch auch seine Handlungsoptionen wären begrenzt: „Seine“ Devisenreserven weiter aufbrauchen, die seit 2014 bereits um mehr als die Hälfte geschrumpft sind, oder anderswo Finanzierung besorgen. China hatte der MAS-Regierung bereits einen 7,5 Milliarden-Kredit bewilligt. Angesichts der kollabierenden Preise für Erdöl und Erdgas befindet sich die Wirtschaft im freien Fall.
Dass der Chef der staatlichen Erdölgesellschaft YPFB letzte Woche anregte, eine vormals vielkritisierte Düngemittelfabrik aus der Amtszeit der MAS in Bulo Bulo im tropischen Tiefland des Chapare in Betrieb zu nehmen, um aus dem Erdgas Dünger für den Eigenverbrauch herzustellen, spricht Bände über die verzweifelte Lage. Derweilen pflegt man gerade im Chapare weiter Konflikte. Nachdem die Kernbasis von Evo Morales, die dortigen Kokabauerngewerkschaften, begonnen hatten, tropisches Obst und Gemüse in den Städten Cochabamba und Sucre zu verteilen (zweifellos eine bessere Idee als die Bauern mit selbstgebastelten Schießprügeln gegen Polizei und Armee in Marsch zu setzen, wie im November letzten Jahres), hatte die „Interimsregierung“ Polizisten in den Chapare geschickt, "um die Corona-Ausgangsbeschränkungen zu überwachen". Die organisierten Kokabauern hatten das Kontingent abgefangen, das sich in die Basis der paramilitärischen Drogenpolizei UMOPAR in Chimoré zurückziehen musste, und die Bankenaufsicht der „Interimsregierung“ ließ daraufhin die Banken im Chapare schließen – "wegen der Sicherheitslage". Tankstellen mussten schließen, die lokale Wirtschaft kam zum Erliegen. Inzwischen hat man sich geeinigt. Die Polizisten dürfen Dienst tun. Bis zum nächsten Scharmützel.
Keine
guten Aussichten für Bolivien, wo die offiziellen Infektionszahlen
bisher glücklicherweise noch relativ niedrig sind - 950 bestätigte Infektionen, 50 Tote bis Mo 27.4., 15:30 MEZ - aber steil nach oben
gehen.
* An den "lieben Peter": Zwei SMS des Obmannes des Tiroler Wirtschaftsbundes Franz Hörl, Hotelier und Bergbahnbetreiber sowie Nationalratsabgeordneter der ÖVP, an den Besitzer des Après-Ski-Lokals „Kitzloch“ in Ischgl vom 9.3.2020, die keines Kommentars bedürfen. zit. nach: die tiwag – tagebuch.pdf
„Lieber Peter,
Ruf mich bitte zurück
Oder sperr Dein Kitz Bar zu -
oder willst Du schuld am Ende
der Saison in Ischgl u eventuell
Tirol sein
Franz Hörl
Wirt
Obmann WB Tirol“
„Lieber Peter,
das ganze Land schaut auf
euer Lokal – wenn eine Kamera
den betrieb sieht stehen wir
Tiroler da wie ein Hottentotten
Staat und stehen ganz schnell
auf der Deutschen Liste!!
Der Image Schaden für Ischgl
und Tirol ist unermesslich!!
Sollte die Saison einbrechen
hast in diesem Kitz loch und im
Kuhstall KEIN GESCHÄFT!!
Du provozierst das derzeit..
Bitte nimm Vernunft – nach
einer Woche 10 Tagen ist viell
Grad über die Sache
gewachsen und
dann kannst eh
weiter entscheiden
Bitte seh das ein
Hg Franz Hörl"