Robert Lessmann
KUBA: CASTRO – EINE ÄRA GEHT ZU ENDE
von Robert Lessmann
© Robert Lessmann
Alles signalisiert Normalität wenn am 19. April die kubanische Nationalversammlung den Staatsrat wählt und dieser sogleich auch seinen Vorsitzenden. Der 86-jährige Raúl Castro hat bereits seit Jahren seinen Verzicht auf eine weitere Amtszeit angekündigt, will aber vorerst an der Spitze der Kommunistischen Partei bleiben. Auch sein Nachfolger ist keine Überraschung. Miguel Díaz Canel war schon bisher als Vizepräsident des Staats- und Ministerrats formelle Nummer 2 hinter Castro. Wie er kommt der ausgebildete Elektroingenieur aus den Reihen des Militärs. Auf Vorschlag von Rául Castro, der bis 2006 Verteidigungsminister war, wurde der Oberstleutnant, der daneben einer Lehrtätigkeit an der Universität Santa Clara nachging, im Jahr 2003 als damals jüngstes Mitglied ins Politbüro gewählt. Alles signalisiert Kontinuität.
Antiimperialismus und Internationalismus
Und doch handelt es sich um das Ende einer Epoche – nicht nur für Kuba, wo nun 59 Jahre Castro-Herrschaft zu Ende gehen. Raúl Castro vertrat zunächst seit 2006 seinen erkrankten Bruder Fidel (der am 25. November 2016 seinem Krebsleiden erlag) und wurde 2008 offiziell zum Staatsoberhaupt gewählt.
Er und Che Guevara waren die einzigen erklärten Kommunisten in den Reihen der bärtigen Rebellen ('Barbudos'), die am 1. Jänner 1959 siegreich in Havanna einzogen. Fidel Castro hatte ursprüngliche der national-liberalen Orthodoxen Partei von Eduardo Chibás angehört und sich von sozialistischen Strömungen distanziert. Später sollte er sagen, er sei damals „ideologisch noch nicht so weit gewesen“ wie Che. Mit ihrer natürlichen Volksnähe, Authentizität und ihrem unkonventionellen Stil bildeten die „Barbudos“ einen markanten Kontrast zu den steifen Bürokraten des „real existierenden Sozialismus“. Die Protestgeneration der 68er identifizierte sich weltweit mit ihnen und mit Kuba – allen voran mit dem emblematischen Che Guevara.
Kubas Streben nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit führte automatisch zum Konflikt mit der Hegemonialmacht USA. Nationalisierungen wurden dort mit Wirtschaftssanktionen und dem Abbruch der Beziehungen beantwortet. Im Zeichen des Kalten Krieges sprang bereitwillig die Sowjetunion als Partner ein. Nach der von Washington unterstützten Invasion von Exilkubanern in der Schweinebucht, stimmte man gerne dem Vorschlag Chruschtschows zu, atomare Mittelstreckenraketen aufzustellen. Die US-Marine blockierte die Seewege. Die Kubakrise brachte die Welt im Oktober 1962 an den Rand eines 3. Weltkriegs – der ein atomarer gewesen wäre, mit Kuba im Zentrum.
Sie wurde durch einen Deal zwischen Washington und Moskau entschärft: Nichtaufstellung der Raketen auf Kuba gegen Abbau auf die UdSSR gerichteter US-Raketen in der Türkei. Kuba, das sich wirksame Abschreckung weiterer Interventionsversuche erhofft hatte, blieb mit leeren Händen zurück. Fidel Castro schäumte, war aber auf die Allianz mit Moskau angewiesen. Che Guevara trat mit seinen revolutionären Projekten in Afrika und Lateinamerika in offenen Gegensatz zur Sowjetpolitik der „Friedlichen Koexistenz“. Durch die heimliche Unterstützung dieser (in Bausch und Bogen gescheiterten) Abenteuer riskierte Fidel Castro auch die Beziehungen zu Moskau. Als Mitglied der Bewegung der Blockfreien suchte man nach einem „dritten Weg“.
Kubanischer Internationalismus und Antiimperialismus bedeutete auch die Unterstützung von Befreiungsbewegungen in Afrika. Zwischen 1975 und 1991 kämpften bis zu 35.000 kubanische Infanteristen an der Seite der Befreiungsbewegung MPLA und fügten der südafrikanischen Armee in Angola eine Niederlage zu. Kuba leistete so auch einen wichtigen Beitrag zum Ende der Apartheid im südlichen Afrika. Kommandiert wurde die Militäraktion von Brigadegeneral Harry Villegas alias „El Pombo“, Ches langjährigem Begleiter von der kubanischen Sierra Maestra über den Kongo bis nach Bolivien, wo Guevara 1967 den Tod fand. Sie war nicht mit Moskau abgesprochen und begleitet von einem zivilen Entwicklungsprogramm durch Ausbilder, Ärzte und Ingenieure. Kubas Internationalismus und Antiimperialismus machten die kleine Karibikinsel mit ihren heute 11 Millionen Einwohnern und ihren „Comandante en Jefe“, Fidel Castro, seinerzeit zu Global Playern. Das ist Vergangenheit. Doch noch heute schickt Kuba mehr Ärzte in die Welt hinaus als die Weltgesundheitsorganisation WHO, nun aber nicht zuletzt auch, um dringend benötigte Devisen zu erwirtschaften.
Politische Quarantäne und wirtschaftliche Dauerkrise
Im Inneren herrschten seit 1962 Planwirtschaft und Rationierung durch die Lebensmittelkarte „Libreta“. Schuld an den wirtschaftlichen Problemen waren externe Faktoren, wie die Blockade der USA gegen die kleine, 100 Meilen vor ihrer Küste liegende, unbotmäßige Insel - aber auch hausgemachte. Die Integration in den Wirtschaftsverband der Ostblockländer blockierte eine ökonomische Diversifizierung und wirtschaftspolitische Kehrtwendungen durch spontane Willensäußerungen des „Comandante en Jefe“ haben ihr selten gut getan. Als Kuba nach dem Fall der Mauer mit dem Zusammenbruch seines Außenhandels und einer existenziellen Wirtschaftskrise konfrontiert war, wurde eine erste wirtschaftliche Liberalisierung eingeleitet – und Mitte der 1990er Jahre wieder auf Eis gelegt, um sie ab 2006 unter Raúl Castro dann zaghaft wieder aufzunehmen. Es gab in der kubanischen Planwirtschaft schlicht keinen stringenten Plan zur Krisenbewältigung. Resultat war eine leichte Erholung auf sehr niedrigem Niveau. Allein: Bewunderungswürdig ist die Überlebensfähigkeit des Modells, von dem Fidel Castro bereits im Jahr 2010 sagte, es „funktioniert selbst für uns nicht mehr“. Auf der Basis von Krise und Stagnation entwickelt sich die Grauzonenwirtschaft zum dynamischsten Sektor. Schwarzgeld aus Miami scheint paradoxerweise zum Motor einer „ursprünglichen Akkumulation“ im Sinne von Karl Marx zu werden.
Obwohl die KP laut Verfassung (Art. 5) die „höchste führende Kraft der Gesellschaft und des Staates“ (…) ist, wurde zwischen 1997 und 2011 kein Parteitag abgehalten. Im Grunde entschied Castro alles, meint der Historiker und Kubakenner Michael Zeuske. Der Konflikt mit Washington hatte sehr rasch zur Rechtfertigung politischer Quarantäne, einem Einparteiensystem und einem allesüberwachenden Blockwartsystem, den Komitees zur Verteidigung der Revolution, geführt. Fidel Castro regierte anarchisch in der Wirtschaftspolitik und politisch mit eiserner Faust. Daran hat sich auch unter Raúl nur wenig geändert. Indes: Wegen der externen Bedrohung hat längst auch ein Nationalismus den Sozialismus als ideologischen Kitt verdrängt, der die Gesellschaft zusammenhält. Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Washington und einer vorsichtigen Annäherung unter Obama und Raúl Castro ist heute insofern Donald Trump ein Garant dafür, dass in Kuba politisch alles beim Alten bleibt. Das allgegenwärtige Wort revolución wird als Synonym für den Entwicklungsprozess und den Apparat gebraucht und hat keine zukunftsweisende Bedeutung im Hinblick auf eine Veränderung der Gesellschaft mehr. Es geht um Krisenbewältigung und Herrschaftssicherung.
Egalität und Sozialstaat
Kuba unter Castro, das bedeutet auch ein im regionalen Vergleich herausragendes Bildungs- und Gesundheitssystem, das mit Abstrichen selbst in der Wirtschaftskrise Bestand hat. Im Word Development Index der Vereinten Nationen liegt Kuba auf Platz 68 – in Lateinamerika übertroffen nur von Costa Rica (66), Panama (60), Uruguay (54), Argentinien (45) und Chile (38). Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt über jener der Menschen in den USA. Vorbildlich – wenn auch nicht perfekt – ist auch die Gleichstellung von Mann und Frau. Weniger gut gelungen, wenngleich ebenfalls besser als in den meisten Nachbarländern, jene zwischen Menschen europäischer und afrikanischer Abstammung.
Ein populärer Witz lautet:
Frage: Was sind die drei größten Erfolge der Revolution?
Anwort: Bildung, Gesundheit und Sport.
Frage: Und die drei größten Probleme?
Antwort: Frühstück, Mittagessen und Abendessen.
Das Erbe der Sierra Maestra
Mit Raúl Castro tritt eine Generation ab, die mit einer unglaublichen Erfahrung gestartet war: 82 Revolutionäre – alle um die 30 Jahre alt - legten am 25. November 1956 mit der völlig überladenen Yacht „Granma“ im mexikanischen Hafen Tuxpán ab, um den Diktator Fulgencio Batista auf Kuba zu stürzen. Nach einer missglückten Landung und ersten Gefechten blieben 22 übrig. Von ihren Bretterverschlägen in den Wäldern der Sierra Maestra aus schafften sie den Umsturz – und das prägte. Diese jungen Männer blieben Zeit ihres Lebens ihren Idealen verpflichtet und der Erfahrung, dass Entschlossenheit und Willenskraft alle Hindernisse überwinden können. Voluntarismus war ein Grundmuster des Castrismo, den der Historiker Zeuske in eine charismatische (unter Fidel) und eine bürokratische Phase unter Raúl Castro teilt. Davon kündeten Plakate mit Verweisen auf jene heroische Revolution an allen Straßenecken auch ein halbes Jahrhundert danach. (Sie sind in den letzten Jahren weniger geworden.) Auch die Begräbnisse der alten Kämpfer - einige ließen sich gleich in der Sierra Maestra beerdigen oder verfügten dies - legen Zeugnis von dieser Verbundenheit ab. Tatsächlich wurde Kuba oft wie ein Guerillacamp geführt. Trotz aller Normalität und Kontinuität – das dürfte sich nun mit der Zeit ändern. In welche Richtung es gehen wird, lässt sich freilich noch nicht absehen.
IGLA-Mitarbeiter Robert Lessmann hat in den 1990er Jahren für die deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung mehrere Studien über die erste Welle der Wirtschaftsreformen auf Kuba geschrieben und im Jahr 2006 eine Che-Biographie vorgelegt. Er hat Kuba zuletzt im November 2017 bereist und im Dezember an der 1. Konferenz für Europastudien der Universität Havanna teilgenommen.