Robert Lessmann
Im Dezember 2013 schuf das Parlament in Monteviedeo mit dem Ley No. 19.172 die Voraussetzungen für einen legalen Cannabismarkt. Uruguay war damit der erste Nationalstaat – im Gegensatz zu einzelnen Bundesländern – der in diesem Punkt offen gegen die Bestimmungen der UNO-Drogenkonvention verstieß. Das brachte dem kleinen südamerikanischen Land viel Kritik ein. Robert Lessmann traf im vergangenen Herbst in Montevideo den Soziologen Julio Calzada, einen der Architekten der neuen Politik.
Du warst seinerzeit Generalsekretär des Nationalen Drogenrats im Präsidentialamt. Wie sind nun fast fünf Jahre danach die Erfahrungen?
JC: Mit einem Wort: unspektakulär. Es waren damals ja turbulente Zeiten. Der Chef des International Narcotics Control Boards (INCB), einer Art globaler Aufsichtsbehörde in Sachen Drogenpolitik mit Sitz in Wien, Raymond Yans, nannte uns einen „Piratenstaat“. Und auch in unserer eigenen Bevölkerung herrschte viel Skepsis. Heute haben wir etwa 35.000 registrierte Konsumenten (nach dem neuesten Bericht sind es 41.376 R.L.) - etwas mehr als ein Prozent der Bevölkerung. Wir waren damals von einer Zahl von 150.000 ausgegangen.
Was besagt das Gesetz 19.172 konkret?
Nun: In Uruguay war der Besitz von Cannabis für den persönlichen Konsum ja bereits seit 1974 straffrei, sowohl für Uruguayer, als auch für ausländische Touristen. Nicht erlaubt waren Produktion und Handel mit Marihuana. Die spielten sich in der Illegalität ab. Nun haben wir ein Gesetz zur Regelung dieses vormals illegalen Marktes. Es sieht ein Register vor. Und es gibt verschiedene Möglichkeiten: Der registrierte Konsument kann in lizenzierte Apotheken gehen und dort bis zu 40 Gramm pro Monat – also 10 Gramm pro Woche – kaufen. Diese Apotheken werden ihrerseits von staatlich lizenzierten Produzenten beliefert, die sowohl Produktionsobergrenzen, als auch staatlich fixierte Preise haben. Es ist also ein regulierter Markt anstelle eines illegalen, „freien“, wie wir ihn bisher hatten. Die Apotheken versorgen etwa 2/3 dieses legalen Marktes. Daneben gibt es die Möglichkeit Mitglied in einem eingetragenen Cannabis-Club zu werden, oder zuhause bis zu sechs Pflanzen für den Eigenkonsum anzubauen. Voraussetzung ist jeweils, dass man mindestens 18 Jahre alt ist und uruguayischer Staatsbürger, oder dass man eine permanente Aufenthaltsgenehmigung hat.
Und was ist das Ziel dieses Gesetzes?
Das Ziel ist eben die Schaffung eines regulierten Marktes für die Cannabis-Konsumenten, damit sie nicht auf den Schwarzmarkt und zu den Drogenhändlern gehen müssen. So schützen wir die Gesundheit der Konsumenten. Wir bringen sie näher an das staatliche System, weil es der Staat ist, der über die lizenzierten Apotheken verkauft. Und wir rauben den Drogenhändlern den Markt. Auf dem illegalen Markt gibt es immer wieder Gewalt zwischen konkurrierenden Banden. Denen wollen wir das Wasser abgraben. Es geht uns nicht einfach nur um eine Verminderung des Konsums, sondern um eine Verbesserung der Lebensqualität. Und das beinhaltet, dass wir jenen Cannabis-Konsumenten, die wir noch nicht überzeugen konnten, es zu lassen, die Sicherheit geben, kein Delikt zu begehen wenn sie einkaufen, dass wir sie in die Nähe des Staates bringen, dass sie sich nicht kriminalisiert fühlen und Hilfe suchen, wenn sie Hilfe brauchen. Wir haben einen gesundheitspolitischen Primat.
Es hat also keinen Anstieg des Konsums gegeben. Trotzdem gibt es noch immer eine kontroverse Debatte. Man sagt: “Was soll das Gezerre um den Cannabis-Konsum. Kümmert euch lieber um die wirklichen sozialen Probleme, wie Einkommen, Wohnung. Gesundheit etc...“
JC (lacht): Genau das tun wir ja. Ich bin inzwischen Sozialdezernent von Montevideo und mein Job ist es, mich um diese Belange zu kümmern. Und wenn wir die Gesetzgebung rascher implementieren würden, dann hätten wir auch mehr Geld in den Kassen für genau diese Dinge. Wir können ja nicht von fünf Jahren Erfahrung sprechen. Eigentlich funktioniert das System überhaupt erst seit anderthalb Jahren. Die Erteilung von Lizenzen für Apotheken läuft schleppend, im ganzen Land gibt es erst 16, und selbst für die ist unsere staatlich kontrollierte Produktion zu niedrig. Folge ist, dass weiterhin ein illegaler Markt existiert mit schmutziger Importware aus Paraguay.
Wie ist das Verhältnis zwischen legalem und illegalem Markt?
JC: Niemand weiß das so ganz genau. Vielleicht konnten wir den illegalen Markt um 50 Prozent reduzieren. Aber er liefert schlechtere und billigere Ware. Wir wollten Kriminalität und Gewalt vermindern. Aber paradoxerweise hat die Gewalt auf dem stark verkleinerten illegalen Markt zunächst sogar zugenommen. Da sind Stecken im Rad. Eine Politik mit angezogener Handbremse. Auch für die Registrierung von Cannabis-Clubs gibt es bürokratische Hindernisse und nicht zuletzt auch, was die medizinische Anwendung von Cannabis betrifft. Alles geht langsam. Die Cannabis-Legalisierung war ein Projekt des Präsidenten Pepe Mujica. Unter seinem Nachfolger Tabaré Vazquez (seit 2015) genießt sie nicht mehr die gleiche Priorität. Aber im Prinzip sind wir dennoch auf dem richtigen Weg.
Robert Lessmann sprach mit Julio Calzada am 30.10.2018 im Café Tribunales an der Plaza Cagancha im Herzen von Montevideo.
DROGENPOLITIK: ERFOLGE ODER ERNÜCHTERUNG?
Ein Kommentar von Robert Lessmann
Wien. Eben ist die 62. UN Commission on Narcotic Drugs zu Ende gegangen. Ohne besondere Vorkommnisse. Der ehemalige Kokabauer und bolivianische Staatspräsident Evo Morales, einst Hoffnungsträger, las ein uninspiriertes Statement ohne Neuigkeiten vom Blatt ab. Der russische Außenminister Sergei Lawrow stand für den regressiven Part: Strikte Einhaltung der UN Drogenkonventionen. Keine Experimente!
Eine Woche vorher hatte das INCB, die UN Organisation, die über die Einhaltung dieser Konventionen wacht, in ihrem Jahresbericht vor einer Aufweichung der Cannabis-Prohibition gewarnt. Eine wachsende Zahl von Mitgliedsstaaten macht Politik am äußersten Rand oder jenseits ihrer Bestimmungen. Im Oktober hatte mit Kanada das erste G7-Land den Cannabis-Konsum freigegeben und Mexiko mit seinen 125 Millionen Einwohnern steht kurz davor. Die wohl interessanteste Veranstaltung war gleich am ersten Tag ein „side event“ zur „Zukunft der Alternativen Entwicklung“, das sind Programme, um Lebensalternativen zu offerieren für Bauern, die sogenannte Drogenpflanzen anbauen. Organisiert von Deutschland, Österreich, der EU, dem UNODC und moderiert von der deutschen GIZ, warb ein hochkarätig besetztes Podium wortreich für diesen Ansatz und stellte Erfolgsgeschichten vor: die Drogenbeauftragte der deutschen Bundesregierung, die ständige Vertreterin Österreichs, Funktionäre des UNODC und der EU, je ein Minister aus Kolumbien und Peru, ein Marschall aus Thailand.
Nun hatte ich die Ehre, zur Jahrtausendwende selbst eine umfangreiche Broschüre (für die damals noch GTZ) zum Thema zu verfassen: „Drogen und Entwicklung in Lateinamerika“. Etwa die Hälfte der alljährlichen Commissions habe ich selbst besucht oder verfolgt: Seit Ende der 1980er, Anfang der 90er Jahre, als ich meine Dissertation über den Kampf gegen den Drogenhandel begann. Seitdem höre ich dort diese Berichte über erfolgreiche Projekte, schlüssige Strategien, „geteilte Verantwortung“, „entschlossenes Engagement“ und „ausgewogene Ansätze“ (balanced approach). Die alljährlichen Welt-Drogenberichte des UNODC berichten indessen von einem stetigen Anstieg des Konsums, der 2015 weltweit 450.000 direkte Todesopfer gefordert hat; 76 Prozent davon durch Opioide wie Heroin. Die globale Kokainproduktion hat mit 1.410 Tonnen ein Allzeithoch erreicht und die Opiumproduktion ist nach Jahren stetiger Zuwächse nur durch eine Trockenheit in Afghanistan eingebremst. Statt sich weiter an der eigenen Großartigkeit zu berauschen um sich an insgesamt gescheiterte Politiken zu klammern wäre es wohl dringend angezeigt, neue Wege auszuprobieren.